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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen denkt! Ade, ade! mein Leben, meine Liebe!“

Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und ebenso pfeilschnell fiel ich abwärts; krach! ging es durchs Rathausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich rücklings über auf den Boden schlug.

Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht, war ich zu Hause aus dem Bette gefallen oder lag ich sonst wo? Endlich besann ich mich, daß ich irgendwo weit herabgestürzt sei. Ich untersuchte ängstlich meine Glieder, es war nichts gebrochen, nur das Haupt that mir weh vom Fall. Ich raffte mich auf, sah um mich; da war ich in einem gewölbten Zimmer, der Tag schien matt durch ein Kellerloch herab, auf dem Tische sprühte ein Licht in seinem letzten Leben, umher standen Gläser und Flaschen, und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein kleines Fläschchen mit langem Zettel am Halse; – ha; jetzt fiel mir nach und nach alles wieder ein; ich war zu Bremen im Ratskeller; gestern nacht war ich hereingegangen, hatte getrunken, hatte mich einschließen lassen, da war –; voll Grauen schaute ich um mich, denn alle, alle Erinnerungen erwachten mit einem Mal. Wenn der gespenstige Balthasar noch in der Ecke säße, wenn die Weingeister noch um mich schwebten?! Ich wagte verstohlene Blicke in die Ecken des düsteren Zimmers, es war leer. Oder wie? Hätte mir dies alles nur geträumt?

Sinnend ging ich um die lange Tafel; die Probefläschchen standen, wie jeder gesessen hatte; obenan die Rose, dann Judas, Jakobus, – Johannes, sie alle an der Stelle, wo ich sie leiblich geschaut hatte diese Nacht. „Nein, so lebhaft träumt man nicht“, sprach ich zu mir, „dies alles, was ich gehört, geschaut, ist wirklich geschehen!“ Doch nicht lange hatte ich Zeit zu diesen Reflexionen; ich hörte Schlüssel rasseln an der Thüre, sie ging langsam auf, und der alte Ratsdiener trat grüßend ein.

[57] „Sechs Uhr hat es eben geschlagen“, sprach er, „und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie heraus zu lassen. Nun“ – fuhr er fort, als ich mich schweigend anschickte, ihm zu folgen, „nun, und wie haben Sie geschlafen diese Nacht?“

„So gut es sich auf einem Stuhl thun läßt, ziemlich gut.“

„Herr“, rief er ängstlich und betrachtete mich genauer, „Ihnen ist etwas Unheimliches passiert diese Nacht. Sie sehen so verstört und bleich aus, und Ihre Stimme zittert!“

„Alter, was wird mir passiert sein!“ erwiderte ich, mich zum Lachen zwingend; „wenn ich bleich aussehe und verstört, so kömmt es vom langen Wachen und weil ich nicht im Bette geschlafen.“

„Ich sehe, was ich sehe“, sagte er kopfschüttelnd; „und der Nachtwächter war heute frühe auch schon bei mir und erzählte, wie er am Kellerloch vorübergegangen zwischen zwölf und ein Uhr, habe er allerlei Gesang und Gemurmel vieler Stimmen vernommen aus dem Keller.“

„Einbildungen, Possen! ich habe ein wenig für mich gesungen zur Unterhaltung und vielleicht im Schlaf gesprochen, das ist alles.“

„Diesmal einen im Keller gelassen in solcher Nacht und von nun an nie wieder“, murmelte er, indem er mich die Treppe hinauf begleitete; „Gott weiß, was der Herr Greuliches hat hören und schauen müssen! Wünsche gehorsamst guten Morgen.“

[Vignette]

„Doch hat daselbst vor allen
Eine Jungfrau mir gefallen.“

Der Worte des fröhlichen Bacchus eingedenk und von Sehnsucht der Liebe getrieben, ging ich, nachdem ich einige Stunden geschlummert, der Holden guten Morgen zu sagen. Aber kalt und zurückhaltend empfing sie mich, und als ich ihr einige innige Worte zuflüsterte, wandte sie mir laut lachend den Rücken zu und sprach: „Gehen Sie und schlafen Sie erst fein aus, mein Herr.“

Ich nahm den Hut und ging, denn so schnöde war sie nie gewesen. Ein Freund, der in einer andern Ecke des Zimmers am

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 56–57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_030.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)