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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

von tückischer Schlauheit um Augen und Mund machten seinen Anblick verhaßt. Obgleich sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch Mustafa bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, und die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu bestätigen. „Wo ist der Starke?“ fragten sie den Kleinen. „Er ist auf der kleinen Jagd“, antwortete jener; „aber er hat mir aufgetragen, seine Stelle zu versehen.“ – „Das hat er nicht gescheit gemacht“, entgegnete einer der Räuber; „denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du.“

Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lange aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen; denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu rächen; als er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen, und wahrlich! die andern blieben ihm nichts schuldig, daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da that sich auf einmal die Thüre des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen waren, außer einem reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht einzuflößen.

„Wer ist’s, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?“ rief er den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich erzählte einer von denen, die Mustafa hergebracht hatten, wie es gegangen sei. Da schien sich das Gesicht „des Starken“, wie sie ihn nannten, vor Zorn zu röten. „Wann hätte ich dich je an meine Stelle gesetzt, Hassan?“ schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zeltthüre zu. Ein hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen sonderbaren Sprung zur Zeltthüre hinausflog.

Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustafa vor den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. „Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen [117] befohlen hast.“ Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: „Bassa von Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan stehst.“ Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und antwortete: „O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!“ Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: „Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will dir Leute vorführen, die dich wohl kennen.“ Er befahl, Zuleima vorzuführen. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: „Jawohl!“ Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer.“ – „Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist?“ begann zürnend der Starke. „Du bist mir zu elend, als daß ich meinen guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte; aber an den Schweif meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch die Wälder will ich mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel von Sulieika!“ Da sank meinem armen Bruder der Mut. „Das ist der Fluch meines harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt“, rief er weinend, „und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!“ – „Deine Verstellung hilft dir nichts“, sprach einer der Räuber, indem er ihm die Hände auf den Rücken band, „mach’, daß du aus dem Zelt kommst! denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm’!“

Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, begegneten sie drei andern, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. „Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast“, sprachen sie und führten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte; nur war er dunkler im Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart. Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 116–117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)