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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

sehr betroffen, indem er bald den einen, bald den andern fragend ansah. Labakan aber sprach mit mühsam errungener Ruhe: „Gnädigster Herr und Vater, laßt Euch nicht irre machen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan geheißen, der mehr unser Mitleid als unsern Zorn verdient.“

Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen. Schäumend vor Wut wollte er auf Labakan eindringen; aber die Umstehenden warfen sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach: „Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt! Man binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedaren! Vielleicht, daß wir dem Unglücklichen Hülfe schaffen können.“

Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt; weinend rief er dem Fürsten zu: „Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken meiner Mutter beschwöre ich Euch: Hört mich an!“

„Ei, Gott bewahre uns!“ antwortete dieser. „Er fängt schon wieder an, irre zu reden; wie doch der Mensch auf solche Gedanken kommen kann!“ Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel hinuntergeleiten. Sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin. Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf ein Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten.

Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten[1]. Er hatte lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem er sich so lange gesehnt hatte. Aber die Sterndeuter, welche er um die Vorbedeutungen des Knabens befragte, thaten den Ausspruch: „Daß er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt zu werden“. Deswegen, um recht sicher zu gehen, hatte der Sultan den [157] Prinzen seinem alten erprobten Freunde Elfi-Bei zum Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt.

Dieses hatte der Sultan unterwegs seinem vermeintlichen Sohne erzählt und sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem würdevollen Benehmen gezeigt.

Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, waren Bögen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von allen Farben schmückten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto unglücklicher mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt. Den Namen Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen; aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer oder der andere, wen man denn so eng gebunden mit fortführe, und schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter: es sei ein wahnsinniger Schneider.

Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuern Teppich bedeckt, die Wände waren mit hellblauem Tuch geschmückt, das an goldenen Quasten und Schnüren in großen silbernen Haken hing.

Es war schon dunkel, als der Zug anlangte; daher waren im Saale viele kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der Thron stand auf vier Stufen und war


  1. Wechabiten oder Wahhabiten bilden eine um 1750 von Mohammed Ibn-Abd-el-Wahhab in der arabischen Landschaft Redschd gegründete mohammedanische Sekte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 156–157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)