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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Wehe dem, durch den Ärgernis kommet!“ riefen die Frommen; „hat man das je erlebt von einem christlichen Prediger?“

„Ei, ei, wer hätte das hinter dem Ehrsamen gesucht?“ sprachen mit Achselzucken die Halbfrommen, „wenn der Skandal nur nicht auf öffentlicher Promenade –!“

„Der Herr Doktor machen sich’s bequem!“ lachten die Weltkinder, „er predigt gegen das Unrecht und geht mit der Sünde spazieren.“

So hallte es vom Felde bis in die Stadt, Bürger und Studenten, Mägde und Straßenjungen erzählten es in Kneipen, am Brunnen und an allen Ecken; und „Doktor Schnatterer“ und „Schön-Luisel“ war das Feldgeschrei und die Parole für diesen Abend und manchen folgenden Tag.

An einer Krümmung des Wegs machte ich mich unbemerkt aus dem Staube und schloß mich als Studiosus meinen Kameraden an, die mir die Neuigkeit ganz warm auftischten. Der gute Doktor aber zog ruhig seines Weges, bemerkte, in seine tiefen Meditationen versenkt, nicht das Drängen der Menge, die sich um seinen Anblick schlug, nicht das wiehernde Gelächter, das seinen Schritten folgte. Es war zu erwarten, daß einige fromme Weiber seiner zärtlichen Ehehälfte die Geschichte beigebracht hatten, ehe noch der Theologe an der Hausglocke zog; denn auf der Straße hörte man deutlich die fürchterliche Stimme des Gerichtsengels, der ihn in Empfang nahm, und das Klatschen, welches man hie und da vernahm, war viel zu volltönend, als daß man hätte denken können, die Frau Doktorin habe die Wangen ihres Gemahls mit dem Munde berührt.

Wie ich mir aber dachte, so geschah es. Nach einer halben Stunde schickte die Frau Doktorin zu mir und ließ mich holen. Ich traf den Doktor mit hoch aufgelaufenen Wangen, niedergeschlagen in einem Lehnstuhl sitzend. Die Frau schritt auf mich zu und schrie, indem sie die Augen auf den Doktor hinüberblitzen ließ: „Dieser Mensch dort behauptet, heute abend mit Ihnen vom Wirtshaus hereingegangen zu sein; sagen Sie, ob es wahr ist, sagen Sie!“

Ich bückte mich geziemend und versicherte, daß ich mir habe [239] nie träumen lassen, die Ehre zu genießen; ich sei den ganzen Abend zu Haus gewesen.

Wie vom Donner gerührt, sprang der Doktor auf, der Schrecken schien seine Zunge gelähmt zu haben: „Zu Haus gewesen?“ lallte er, „nicht mit mir gegangen, o mit wem soll ich denn gegangen sein, als mit Ihnen, Wertester?“

„Was weiß ich, mit wem der Herr Doktor gegangen sind?“ gab ich lächelnd zur Antwort. „Mit mir auf keinen Fall!“

„Ach, Sie sind nur zu nobel, Herr Studiosus“, heulte die wütende Frau, „was sollten Sie nicht wissen, was die ganze Stadt weiß; der alte Sünder, der Schandenmensch! Man weiß seine Schliche wohl; mit der schönen Luisel hat er scharmuziert!“

„Das hat mir der böse Feind angethan“, raste der Doktor und rannte im Zimmer umher; „der Böse, der Beelzebub, nach meiner Konjektur der Stinker.“

„Der Rausch hat dir’s angethan, du Lump“, schrie die Zärtliche, riß ihren breit getretenen Pantoffel ab und rannte ihm nach; ich aber schlich mich die Treppe hinab und zum Haus hinaus und dachte bei mir, dem Doktor ist ganz recht geschehen, man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kömmt er.

Der Doktor Schnatterer wurde von da an in seinen Kollegien ausgepocht und konnte, selbst mit den kühnsten Konjekturen, den Eifer nicht mehr erwecken, der vor seiner Fatalität unter der studierenden Jugend geherrscht hatte. Die Kollegiengelder erreichten nicht mehr jene Summe, welche die Frau Professorin als allgemeinen Maßstab angenommen hatte, und der Professor lebte daher in ewigem Hader mit der Unversöhnlichen. Diesem hatte sozusagen der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt.





Zehntes Kapitel.
Satan wird wegen Umtrieben eingezogen und verhört; er verläßt die Universität.

Um diese Zeit hörte man in Deutschland viel von Demagogen, Umtrieben, Verhaftungen und Untersuchungen. Man lachte darüber, weil es schien, man betrachte alles durch das Vergrößerungsglas,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 238–239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_121.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)