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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

braucht der Teufel viel Komplimente zu machen? Ich trat näher, setzte mich auf den Stuhl, welchen der andere verlassen hatte, und bot dem Alten einen guten Abend.

Langsam erhob er sein Haupt und schlug das Auge auf, ja er war es, es war der Ewige Jude.

Bon soir, Brüderchen!“ sagte ich zu ihm, „es ist doch schnackisch, daß wir einander zu Berlin im Tiergarten wiederfinden, es wird wohl so achtzig Jährchen sein, daß ich nicht mehr das Vergnügen hatte?“

Er sah mich fragend an; „So, du bist’s?“ preßte er endlich heraus; „hebe dich weg, mit dir habe ich nichts zu schaffen!“

„Nur nicht gleich so grob, Ewiger“, gab ich ihm zur Antwort; „wir haben manche Mitternacht miteinander vertollt, als du noch munter warst auf der Erde und so recht systematisch lüderlich lebtest, um dich selbst bald unter den Boden zu bringen. Aber jetzt bist du, glaube ich, ein Pietist geworden.“

Der Jude antwortete nicht, aber ein hämisches Lächeln, das über seine verwitterten Züge flog wie ein Blitz durch die Ruine, zeigte mir, daß er mit der Kirche noch immer nicht recht einig sei.

„Wer ging da soeben von dir hinweg?“ fragte ich, als er noch immer auf seinem Schweigen beharrte.

„Das war der Kammergerichtsrat Hoffmann[1]“, erwiderte er.

„So der? ich kenne ihn recht wohl, obgleich er mir immer ausweicht wie ein Aal; war ich ihm doch zu mancher seiner nächtlichen Phantasien behülflich, daß es ihm selbst oft angst und bange wurde, und habe ich ihm nicht als sein eigener Doppelgänger über die Schultern geschaut, als er an seinem Kreisler[2] schrieb? als er sich umwandte und den Spuk anschaute, rief er seiner Frau, daß sie sich zu ihm setze, denn es war Mitternacht und seine Lampe brannte trüb. – So, so, der war’s? und was wollte er von dir, Ewiger?“

[251] „Daß du verkrümmest mit deinem Spott; bist du nicht gleich ewig wie ich, und drückt dich die Zeit nicht auch auf den Rücken? Nenne den Namen nicht mehr, den ich hasse! Was aber den Herrn Kammergerichtsrat Hoffmann betrifft“, fuhr er ruhiger fort, „so geht er umher, um sich die Leute zu betrachten; und wenn er einen findet, der etwas Apartes an sich hat, etwa einen Hieb aus dem Narrenhaus oder einen Stich aus dem Geisterreich, so freut er sich baß und zeichnet ihn mit Worten oder mit dem Griffel. Und weil er an mir etwas Absonderliches verspürt haben mag, so setzte er sich zu mir, besprach sich mit mir und lud mich ein, ihn in seinem Haus auf dem Gendarmenmarkt zu besuchen.“

„So, so? und wo kommst du denn eigentlich her? wenn man fragen darf?“

Recta aus China“, antwortete Ahasverus, „ein langweiliges Nest, es sieht gerade aus wie vor fünfzehnhundert Jahren, als ich zum erstenmal dort war.“

„In China warst du?“ fragte ich lachend, „wie kommst du denn zu dem langweiligen Volk, das selbst für den Teufel zu wenig amüsant ist?“

„Laß das“, entgegnete jener, „du weißt ja, wie mich die Unruhe durch die Länder treibt; ich habe mir, als die Morgensonne des neuen Jahrhunderts hinter den mongolischen Bergen aufging, den Kopf an die lange Mauer von China gerannt, aber es wollte noch nicht mit mir zu Ende gehen, und ich hätte eher ein Loch durch jene Gartenmauer des himmlischen Reiches gestoßen, wie ein alter Aries[3], als daß der dort oben mir ein Härchen hätte krümmen lassen.“

Thränen rollten dem alten Menschen aus den Augen; die müden Augenlider wollten sich schließen, aber der Schwur des Ewigen hält sie offen, bis er schlafen darf, wenn die andern auferstehen. Er hatte lange geschwiegen, und wahrlich, ich konnte den Armen nicht ohne eine Regung von Mitleid ansehen. Er richtete sich wieder auf. – „Satan“, fragte er mit zitternder Stimme, „wieviel Uhr ist’s in der Ewigkeit?“


  1. Ernst Theod. Wilh. (Amadeus) Hoffmann (1776–1822), hochbegabter Humorist der romantischen Schule, lebte sich schließlich so sehr in die phantastischen Höllengestalten seiner Einbildungskraft hinein, daß er sich selbst vor ihnen fürchtete, wenn er des Nachts in aufgeregter Stimmung seine Geschichten schrieb.
  2. Vgl. E. T. A. Hoffmanns „Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Joh. Kreisler“.
  3. Latein, d. i. der Widder, Schafbock; – auch hieß so eine Belagerungsmaschine, mit der man Löcher in die Mauern der Festungen stieß.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 250–251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)