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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

man bald den Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah; die Frau des Hauses, eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden, der den Anstand ihres Hauses so gröblich verletzte, ohne Rückhalt zurechtweisen, als dieser mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm zugetraut hätte, sich aus der Affaire zu ziehen wußte:

„Ich hoffe, gnädige Frau“, sagte er, „Sie werden mein allerdings unzeitiges Lachen nicht mißverstehen und mir erlauben, mich zu rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiß auch schon begegnet, daß eine Ideen-Association Sie völlig außer Kontenance brachte; ist doch schon manchem mitten unter den heiligsten Dingen ein lächerlicher Gedanke aufgestoßen, der ihn im Mund kitzelte, und je mehr er bemüht war, ihn zu verhalten und zurückzudrängen, desto unaufhaltsamer brach er auf einmal hervor: so geschah es mir in diesem Augenblick. Sie würden mich unendlich verbinden, gnädige Frau, wenn Sie mir erlaubten, durch offenherzige Erzählung mich bei Frau von Wollau zu entschuldigen.“

Gnädige Frau, höchlich erfreut, daß der Anstand doch nicht verletzt sei, gewährte ihm freundlich seine Bitte, und der Ewige Jude begann: „Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhältnis zu einer berühmten Dichterin mitgeteilt, sie hat uns erzählt, wie sie in manchen Stunden über ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus meinem eigenen Leben.

Auf einer Reise durch Süddeutschland verlebte ich einige Zeit in S. Meine Abendspaziergänge richteten sich meistens nach dem königlichen Garten, der jedem Stand zu allen Tageszeiten offen stand; die schöne Welt ließ sich dort zu Fuß und zu Wagen jeden Abend sehen; ich wählte die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten Gebüschen gegen die Sonne und störende Besuche verschlossen, auf weichen Moosbänken mir und meinen Gedanken lebte.

Eines Abends, als ich schon längere Zeit auf meinem Lieblingsplätzchen geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete, ältliche Frauen und setzten sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale, aber dichtbelaubte Hecke von der meinigen getrennt war. Ich [267] hielt nicht für nötig, ihnen meine Nähe, die sie nicht zu ahnen schienen, zu erkennen zu geben; Neugierde war es übrigens nicht, was mich abhielt, denn ich kannte keine Seele in jener Stadt, also konnten mir ihre Reden höchst gleichgültig sein. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen vor, Verehrteste, als ich folgendes Gespräch vernahm:

‚Nun? und darf man Ihnen Glück wünschen, Liebe? Haben Sie endlich die hartnäckige Elise aus der Welt geschafft?‘

‚Ja‘, antwortete die andere Dame, ‚heute früh nach dem Kaffee habe ich sie umgebracht.‘

Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und gleichgültig von einem Mord sprechen hörte, so leise als möglich näherte ich mich vollends der Hecke, die mich von jenen trennte, schärfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, daß mir ja nichts entgehen sollte, und hörte weiter:

‚Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht; wie gewöhnlich durch Gift? oder haben Sie die Unglückliche, wie Othello seine Desdemona, mit der Bettdecke erstickt?‘

‚Keines von beiden‘, entgegnete jene, ‚aber recht hart ward mir dieser Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon zwischen Leben und Sterben, und immer wußte ich nicht, was ich mit ihr anfangen sollte; da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein: ich ließ sie, wie durch Zufall, von einem Steg ohne Geländer in den tiefen Strom hinabgleiten, die Wellen schlugen über ihr zusammen, man hat von Elisen nichts mehr gesehen.‘

‚Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die Sie auf die eine oder die andere Art umbringen?‘

‚Nun, das wird bald abgezählt sein, Pauline Dupuis, Marie u. s. w., aber die erstere trug mir am meisten Ruhm ein; es waren dies noch die guten Zeiten von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.‘

Die Haare standen mir zu Berg; also fünf unschuldige Geschöpfe hatte diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes Werk an der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel aufdeckte und die Mörderin zur Rechenschaft zog?

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 266–267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)