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Ich gestehe, ich that es ungern. Ich hatte schon zu diesem Teile alles geordnet, es fand sich darin eine Skizze, die nicht ohne Interesse zu lesen war, ich meine jene Szene, wie er mit Napoleon eine Nacht in einer Hütte von Malojaroßlawez[1] zubrachte, und wie von jenen Augenblicken an so vieles auf geheimnisvolle Weise sich gestaltet im Leben jenes Mannes, dem selbst der Teufel Achtung zollen mußte, vielleicht – weil er ihm nicht beikommen konnte, doch – vielleicht ist es möglich, dieses merkwürdige Aktenstück dem Publikum an einem anderen Orte mitzuteilen.

Noch war ich mit Durchsicht und Ordnen der Papiere beschäftigt, da wurde die Thüre aufgerissen und mein Freund Moritz stürzte ins Zimmer.

„Weißt du schon?“ rief er. „Er hat ihn verloren.“

„Wer? was hat man verloren?“

„Nun, von was wir gestern sprachen, den Prozeß gegen Clauren meine ich, wegen des Mannes im Monde!“

„Wie? ist es möglich!“ entgegnete ich, an meinen Traum denkend; „unser Freund, der Kandidatus Bemperlein[2]? den Prozeß?“

„Du kannst dich drauf verlassen, soeben komme ich vom Museum, der Verleger sagte es mir, soeben wurde ihm das Urteil publiziert.“

„Aber wie konnte dies doch geschehen? Moritz! War er etwa auch in Klein-Justheim anhängig?“

„Klein-Justheim? Du fabelst, Freund!“ erwiderte der Freund, indem er besorgt meine Hand ergriff; „was willst du nur mit Klein-Justheim, wo gibt es denn einen solchen Ort?“

„Ach“, sagte ich beschämt, „du hast recht; ich dachte an – meinen Traum.“




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II.
Der Fluch.
Novelle.
(Fortsetzung.)




Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die heilige Stadt hatte immer einen Überfluß von Leuten, die in der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren.

Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der guten Leute (von anderen Sünder genannt) mache; aber wer je mit der Erde zu thun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders in Städten wie Rom unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nüancen guter Leute vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fürsten, der die Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreißig Thaler angeboten werden, vorfinden, da muß man Klassen haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein in: erste Klasse, mit dem Prädikat „recht gut“, solche, die geradehin verneinen; als da sind: Freigeister, Gottesleugner, etc. Zweite Klasse, „gut“. Sie sagen mit einigem Umschweif nein; gelten unter sich für Heiden, bei Vernünftigen für liberale Männer, bei der Menge für fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Türken und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Prädikat „mittelmäßig“ sind jene, die ihr „Nein“ nur durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst für eine Art


  1. Bei Malojaroßlawez in Rußland wurde auf dem Rückzuge der großen Armee am 24. Oktober 1812 eine blutige Schlacht geschlagen, die Napoleon veranlaßte, seinen ursprünglichen Plan, von Moskau nach Kaluga zu ziehen, aufzugeben und den Weg über Borodino nach Smolensk einzuschlagen.
  2. Spitzname Hauffs in der Burschenschaft. Vgl. Bd. 1, S. 6.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 342–343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)