Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 185.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„O Einfalt! Es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert habt; Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schöne an unserer Kirche? He? Nicht nur, daß sie die Alleinseligmachende, daß sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist; denn schon aus physischen Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den Unsrigen lange im Fegfeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie auch ohne Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und ebenso viele im Fegfeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit eurer verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Türken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind; das macht zusammen hundertundzwanzig.“

„O, wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!“ sagte Ines mit zauberischem Lächeln. „Ach, Otto! dich soll ich an jenem Ort wissen, in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist nicht möglich!“

„Sodann weiter“, fuhr der Salbungsvolle fort, „Euer Erzketzer in Berlin, der Schleiermacher[1], nimmt selbst an, daß alle Menschen prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an; der Mann hat vernünftige Gedanken, und wäre wert, einst nur ins Fegfeuer zu kommen; aber das weiß er doch nicht recht; wenn einer auch zehenmal prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir können ihn doch absolvieren und recta in den Himmel schicken. Nun, und wenn man annimmt, daß das Fegfeuer hundertundzwanzig Millionen faßt, und darunter hundert Millionen Türken, und zwanzig Millionen Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine etwas lüderliche Seele.“

[367] „Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte, machet mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz kann mich nicht locken; doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab öffentlich verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt à la Mahomed; die Kerls würden sich schlagen wie der Teufel, denn sie wüßten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir tröstlicher, denn es stehen ganz vernünftige Männer dort.“

„O, daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht hättet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte, die ketzerische Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch sein; das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhandnehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer, Professoren, nehmen sich unserer Sache an: seht, dieser da, Nr. 172, Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen Dunkel, daß sie bald unser sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner Heiligkeit, der berühmte Sgn. Carlo Fiorini, hat vollkommen recht. Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn ihr eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie hättet – die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret wenigstens schon lange wieder zurückgekehrt.“

Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land; wie gerne hätte ich diesem trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele bearbeitete, es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen Vorteil zu blenden ist, wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen. Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schönes Weib haben schon andere geangelt als diesen.


  1. Friedr. Dan. Ernst Schleiermacher (1768–1834), Professor der Theologie und Prediger in Berlin, hegte eine von der älteren Kirchenlehre wesentliche abweichende Ansicht von der Prädestination, indem er darunter nur eine in der geschichtlichen Entwicklung des Reiches Gottes begründete Berufung der Menschen zum Heile verstand, nicht eine willkürliche Auswahl weniger.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 366–367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)