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Nähe der schönen Jüdin, wenn er sich die Höhe seiner Seligkeit, den Besitz der lieblichen Kalle dachte; dann war er wieder ausgelassen fröhlich und sprach allerlei verwirrtes Zeug, wie er ein Millionär zu werden gedenke, wie und wo er sich ein Haus bauen wolle, und was dergleichen überschwengliche Gedanken mehr waren, der Kalle aber flüsterte er ins Ohr, daß er sich wolle adeln lassen und sie zur gnädigen Frau Baronesse von Zwerner zu Zwernersheim machen, welcher Ort noch auf der Landkarte auszumitteln wäre.

Endlich, es war am dritten Frankfurter Pfingstfeiertag, und die Mädchen und Frauen spazierten schon scharenweise hinaus an den Main, um sich übersetzen zu lassen nach dem Wäldchen, und die Männer riefen ihnen nach, nur einstweilen alles zuzurüsten daselbst, weil sie nur noch auf die Börse gingen und bald nachkämen, indem heute nichts Bedeutendes vorkomme; und auch die alte Baubo[1], die schnöde Hexe, zog hinaus, doch diesmal nicht auf dem Mutterschwein, sondern in einem eleganten Wagen; sie hatte ihre schönen Stieftöchter bei sich und nickte mir freundlich zu, als wollte sie sagen, „Dich kenne ich wohl, Satan, obgleich du jetzt in schwarzem Frack und seidenen Strümpfen einherzuwandeln beliebst und meiner Elise, dem allerliebsten Kind, praktische Guitarrestunden gibst, dich kenne ich wohl, komm aber nur hinaus ins Wäldchen, da sprechen wir wohl wieder ein Wort zusammen.“ Da fuhr sie hin, die gute Alte, eine der ersten Palastdamen meiner Großmutter und sehr angesehen in Frankfurt und auf dem Brocken in Walpurgisnacht, da fuhr sie hin und viele tausend und wieder tausend fromme Frankfurter Seelen ihr nach, die alle das Gebot in feinem Herzen trugen: „Du sollst den Feiertag heiligen und an Pfingsten auch den dritten und vierten.“

Jetzt war es Zeit, zu operieren. Den Tag zuvor hatte man sich allgemein mit dem Gerücht getragen, daß die Pforte das Ultimatum nicht annehmen werde, und man erwartete von heute nichts Besonders. Da jagte um eilf Uhr ein Kurier durch das Thor, ganz mit Schweiß und Staub bedeckt, er sprengte, greulich [443] auf dem Posthorn blasend, durch die Straße, Million genannt, und in einem Umweg durchs neue Judenquartier, die Leute rissen die Fenster auf und fuhren mit den Köpfen heraus, um zu schauen nach dem schrecklichen Trompeten- und Straßenlärm. „Wo kümmt Er här? Wo will Er hün?“ riefen sie. „In Weißen Schwanen“, schrie er, „ich habe den Weg verfehlt, wo geht’s in Weißen Schwanen?“ – „Der Herr is wohl ä Korrier?“ – „Freilich, nur schnell“, rief er und zog einen Brief mit großem Sigill aus der Tasche, „das kommt von Wien und ist an den Herrn Zwerner aus Dessau im Weißen Schwanen.“ – „Da an der Ecke geht’s rechts, dann die Straße links, dann kömmt Er auf die Zeile, da reitet Er bis an die Hauptwache, und von dort ist’s nimmer weit.“ So riefen sie, schauten ihm nach, wie er mit der Peitsche knallend davonjagte, und besprachen sich dann über die Straße hinüber, was wohl die Depesche aus Wien enthalten möchte. Der Kurier war aber niemand anders als einer meiner dienstbaren Geister, in die Uniform eines hessischen Postillons gekleidet.


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6) Der Reis-Efendi und der Teufel in der Börsenhalle.

Im Briefe stand mit dürren Worten, daß der Reis-Efendi dem Herrn von Minciaky die vertrauliche, jedoch halb offizielle Mitteilung gemacht habe, „daß die Pforte das Ultimatum, soweit es Rußland betreffe, annehmen werde.

Der Seufzer bekam nun die nötige Instruktion, was er zu thun hatte; er fuhr mit dem Brief sogleich zu Papa Simon und mit diesem zu Herrn von R…, dem Papst der Börse, dem sichtbaren Oberhaupt der unsichtbaren papierenen Kirche. Dieser prüfte die Depesche genau; er selbst hatte schon zu oft ähnliche Mittel angewendet, Pariser Kuriere aus Mainz, und Wiener aus Aschaffenburg kommen lassen, als daß er so leicht konnte hintergangen werden. Er ließ daher ein Licht bringen und prüfte zuerst Geruch und Flüssigkeit des Siegellacks. „Gott’s Wunder!“ sprach er bedächtlich riechend, „Gott’s Wunder! das ist echtes Kaisersiegellack, wie es nur in Wien selbst zubereitet wird, und was Eingeweihte zu


  1. Mythische Figur und Bezeichnung eines gespenstigen alten Weibes. Vgl. Goethes „Faust“, 1. Teil, Walpurgisnacht.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 442–443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_223.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)