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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Plötzlich entsteht ein Geräusch, ein Gedränge nach der Thüre zu. Ein Wagen ist vorgefahren, die Leute stehen auf die Zehen, machen lange Hälse, um die Mienen der Kommenden zu sehen. Drei Männer arbeiteten sich durch die Menge und stellen sich ernst und gravitätisch an ihren Platz zur Seite, wie es wohllöblicherweise auf anderen Börsen der Brauch ist, wo nur die Mäckler herumlaufen und sich drängen. Es war der große Baron, der an der Seite stand, zu seiner Rechten das Gestirn des Tages, der Kaufmann Zwerner aus Dessau, jetzt nicht mehr Seufzer zu nennen, denn sein Herz schien zu jubilieren und allerlei verliebte Streiche ausführen zu wollen, während er doch die Sinne bedächtlich und gesetzt beisammen behalten mußte, um sich nicht zu verrechnen. Zur Linken stand der Jude Simon, angethan mit seinem Sabbaterrock und einer schneeweißen Halsbinde, mit feierlicher, hochzeitlicher Miene, so daß sein Volk gleich sah, es müsse was ganz Außerordentliches sich zugetragen haben.

Jetzt nahten die Käufer und Verkäufer und fragten nach den Preisen. Sie wurden bleich, sie sanken in die Knie’ und schlichen zitternd umher; sie lamentierten schrecklich mit den Armen, sie steckten die Finger in den Mund, sie fluchten ebräisch und syrisch auf den Christen, der sich einen Kurier kommen lassen, auf den Vater, der den Kurier gezeugt, auf das Pferd, welches das Pferd des Kuriers zur Welt gebracht, auf seinen Kopf, auf seine vier Füße, kurz auf alles, selbst auf Sonne, Mond und Sterne, und auf Frankfurt und die Börsenhalle. Jetzt merkte man, warum der schlaue Simon seine Papiere in den letzten Tagen umgesetzt habe; jetzt konnte man sich den Tiefsinn des Kaufmanns aus Dessau erklären –! „Das Ultimatum ist angenommen“, scholl es durch den Hof, „der Reis-Efendi hat zugesagt“, hallte es durch die Ecken; und obgleich die drei wichtigen Männer nur entfernt auf ihren Brief anspielten, nur einige nähere Umstände angaben, nichts Bestimmtes aussprachen, so stiegen doch die östreichischen, die Rothschildschen und wenige andere Papiere, von welchen durch Zwerners und des alten Simons Sorge gerade nicht sehr viele auf dem Platz waren, in Zeit von einer halben Stunde um vier und einen halben Prozent. Mehrere Häuser, die sich nicht vorgesehen [447] hatten, fingen an zu wanken, eines lag schon halb und halb und hatte es nur seiner nahen Seitenverwandtschaft mit dem regierenden (Börsen-)Hause zu verdanken, daß ihm noch einige Stützen untergeschoben wurden.

Als man um ein Uhr auseinander ging, lautete der Kurszettel der Frankfurter-Börsenhalle:

Metalliques 875/8.
Betmännische 751/2.
Rothschildsche Lose 132.
Preußische Staatsschuldenscheine 84.

In den übrigen war nichts geändert worden.


*  *  *


7) Die Verlobung.

Dieses kleine Börsengemetzel entschied über das Schicksal des Seufzers aus Dessau. In den zwei nächsten Tagen wirkte er durch die große Menge Metalliques, die er in Händen hatte, mächtig auf den Gang der Geschäfte, und als einige Tage nachher Herr von Rothschild Privatmitteilungen aus Wien erhielt, wodurch seine Nachrichten vollkommen bestätigt wurden, da drängte sich alles um den hoffnungsvollen, spekulativen Jüngling, um den genialen Kopf, der auf unglaubliche Weise die Umstände habe berechnen können.

Seine Zurückgezogenheit zuvor galt nun für tiefes Studium der Politik, seine Schüchternheit, sein geckenhaftes Stöhnen und Seufzen für Tiefsinn, und jedes Haus hätte ihm freudig eine Tochter gegeben, um mit diesem sublimen Kopf sich näher zu verbinden. Da aber die Polygamie in Frankfurt derzeit noch nicht förmlich sanktioniert ist und das Herz des Dessauers an Rebekka hing, so schlug er mit großer Tapferkeit alle Stürme ab, die aus den Verschanzungen in der Zeile, aus den Trancheen der Million, selbst aus den Salons der neuen Mainzer Straße mit glühenden Liebesblicken und Stückseufzern auf ihn gemacht wurden.

Der alte Herr Simon, konnte sich auch der Dessauer in Hinsicht auf Geld und Glücksgüter ihm nicht gleichstellen, rechnete es

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 446–447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_225.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)