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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

in der Dorotheenstraße in Berlin, erzählte. ‚Euer Onkel ist ja schon seit zwei Monaten tot!‘ erwiderte er. ‚O, du armer Junge, seit zwei Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von ihm und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Würmer!‘

Sie können sich leicht meinen Schrecken über diese Trauerpost denken, ich weinte lange und hielt mich für unglücklicher als alle Helden; nach und nach aber wußte mich mein Begleiter zu trösten: ‚Erinnerst du dich gar nicht, mich gesehen zu haben?‘ fragte er. Ich sah ihn an, besann mich, verneinte. ‚Ei, man hat mich doch in Dresden so viel gesehen‘, fuhr er fort, ‚alle Alten und besonders die Jugend strömte zu mir und meinem jungen Griechen.‘

Jetzt fiel mir mit einemmal bei, daß ich ihn schon gesehen hatte. Vor wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen unglücklichen Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und ließ den jungen Athener für Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des Griechen und der Überschuß für einen Griechenverein bestimmt. Alles strömte hin, auch mir gab der Vater ein paar Groschen, um den unglücklichen Knaben sehen zu können. Ich bezeugte dem Mann meine Verwunderung, daß er nicht mehr mit dem Griechen reise.

‚Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Hälfte meiner Kasse und meinen besten Rock gestohlen; er wußte wohl, daß ich ihm nicht nachsetzen konnte; aber wie wäre es, Söhnchen, wenn du mein Grieche würdest?‘ Ich staunte, ich hielt es nicht für möglich; aber er gestand mir, daß der andere ein ehrlicher Münchner gewesen sei, den er abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die Leute die griechische Sucht hätten.“

„Wie?“ unterbrach ihn der Engländer, „selbst in Deutschland nahm man Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? und doch ist es eigentlich ein deutscher Minister[1], der es mit der Pforte hält und die Griechen untergehen läßt.“

„Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland“, antwortete Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, „was einmal [453] in einem anderen Lande Mode geworden, muß auch zu uns kommen. Das weiß man gar nicht anders. Wie nun vor kurzem die Parganioten[2] ausgetrieben wurden und bald nachher die griechische Nation ihr Joch abschüttelte, da fanden wir dies erstaunlich hübsch, schrieben auf der Stelle viele und dicke Bücher darüber und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar Philhellenen gab es bei uns, und man sah diese Leute mit großen Bärten, einen Säbel an der Seite, Pistolen im Gürtel, rauchend durch Deutschland ziehen. Wenn man sie fragte, wohin? so antworteten sie: ‚In den heiligen Krieg, nach Hellas gegen die Osmanen!‘ Bat sich nun etwa eine Frau oder ein Mann, der in der alten Geographie nicht sehr erfahren, eine nähere Erklärung aus, so erfuhr man, daß es nach Griechenland gegen die Türken gehe. Da kreuzigten sich die Leute, wünschten dem Philhellenen einen guten Morgen und flüsterten, wenn er mit dröhnenden Schritten einen Fußpfad nach Hellas einschlug, ‚der muß wenig taugen, daß er im Reich keine Anstellung bekommt und bis nach Griechenland laufen muß.‘“

„Ist’s möglich?“ rief der Marquis, „so teilnahmelos sprachen die Deutschen von diesen Männern?“

„Gewiß; es ging mancher hin mit einem schönen Gefühl, einer unterdrückten Sache beizustehen; mancher, um sich Kriegsruhm zu erkämpfen, der nun einmal auf den Billards in den Garnisonen nicht zu erlangen ist; aber alle barbierte man über Einen Löffel, wie mein Vater zu sagen pflegte, und schalt sie Landläufer.“

„Mylord“, sagte der Franzose, „es sind doch dumme Leute, diese Deutschen!“

„O ja“, entgegnete jener mit großer Ruhe, indem er sein Rumglas gegen das Licht hielt. „Zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen unerträglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen.“

Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhrt fort: „Auf diese Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut,


  1. Gemeint ist der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich (1773–1859).
  2. Die Bewohner der Stadt Parga am Ionischen Meere, die 1819 nach den Ionischen Inseln übersiedelten, als die Stadt am 10. Mai d. J. von der Pforte an Ali Pascha von Janina ausgeliefert wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 452–453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)