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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

man über verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich eine andere Einrichtung getroffen.

Mein Theater spielt große pantomimische Stücke, welche wunderbarerweise nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum Gegenstand haben, aber mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben liegt abgeschlossen hinter diesen armen Seelen. Selten bekömmt eine einen Erlaubnisschein, als Revenant die Erde um Mitternacht besuchen zu dürfen. Denn was nützt es mir, was frommt es dem irren Geist einer eifersüchtigen Frau, zum Lager ihres Mannes zurückzukehren? Was nützt es dem Mann, der sich schon um eine zweite umgethan, wenn durch die Gardine dringt –

„Eine kalte weiße Hand,
Wen erblickt er? Seine Wilhelmine,
Die im Sterbekleide vor ihm stand.“
[1]

Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit dem Federmesser die Kehle abschnitt, allnächtlich ins Departement schleicht, angethan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten pflegte, schlurfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem Ohr; zu was dient es, wenn er seufzend vor die Akten sitzt und mit glühendem Auge seinen Rest immer noch einmal wieder berechnet?

Was kann es dem fürstlichen Keller helfen, wenn der Schloßküfer, den ich in einer bösen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfährt und mit krampfhaft gekrümmtem Finger an den Fässern anpocht, die er bestohlen? Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der Zapfenstreich ertönt und die Hörner zur Ruhe blasen? Zu was den Stutzer, um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt? Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle würden sich unglücklicher fühlen, könnten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat, es wäre eine Schärfung der Strafe, wie etwa ein König, als ihm ein Urteil zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe vorgelegt wurde, „noch sechs [467] Jahre länger“ unterschrieb, weil er den Mann haßte. Aber sie würden mir auf der andern Seite so viel verwirrtes Zeug mit herabbringen, würden mir manchen fromm zu machen suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der zu Lebzeiten so viel getrunken, daß er in der Hölle Wasser trinken wollte, – ich habe darin zu viele Erfahrungen gemacht und kann es in neuern Zeiten, wo ohnedies die Missionarien und andere Mystiker genug thun, nicht mehr erlauben. Daher kommt es, daß es in diesen Tagen wenig mehr in den Häusern, desto mehr aber in den Köpfen spukt.

Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten über die Zukunft zu geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stücke von meiner höllischen Bande aufführen. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt:

Mit Allerhöchster Bewilligung.
Heute, als am Geburtsfeste der Großmutter, diabolischen Hoheit:
Einige Szenen aus dem Jahr 1826.
Pantomimische Vorstellung mit Begleitung des Orchesters.
Die Musik ist aus Mozarts, Heydens, Glucks und anderen Meisterwerken
zusammengesucht von Rossini.

(Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwärtig sehr viele allerhöchste Personen und hoher Adel hier sind, so wird gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und Ministern bis zum Grafen abwärts inklusive, die zweite Galerie der Ritterschaft samt Frauen bis zum Lieutenant abwärts zu überlassen.

Die Direktion des infernal. Hof- und Nationaltheaters.


Das Publikum drängte sich mit Ungestüm nach dem Haus. Ich bot mich den drei jungen Herren als Cicerone an und führte sie glücklich durch das Gedränge ins Parkett; obgleich der Lord ohne Anstand auf die erste, der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge hätten eintreten dürfen. Diese drei Subjekte fanden es aber amüsanter, von ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren. Wie mancher Ausruf des freudigen Staunens entschlüpfte ihnen, wenn sie wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen. Besonders Garnmacher schien vor Erstaunen


  1. Verse aus Langbeins Gedicht: „Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten“ u. s. w.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Gedicht ist von Kazner – siehe die Berichtigung des Herausgebers.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 466–467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_235.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)