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Der Küster wog den Thaler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: „Wenn’s nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht?“

„So nehmt Eure Schlüssel“, fuhr der andere fort, „und schließt die Münsterkirche auf.“

„Jetzt, in dieser Stunde?“ rief der Alte mit Entsetzen; „jetzt in dieser stürmischen Nacht? geht nicht, Kamerad, so wahr ich – nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinüber!“

„Beileibe“, rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück, daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres geblümten Bettes übersehen konnte, „führe uns nicht in Versuchung. Alter, laß dich nicht bethören, wer weiß, was draußen lauert.“

„Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann, unter dem Weiberregiment stündet“, sprach der alte Diener; „glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht, und bringt Euch guten Lohn.“ Noch einmal wog der Küster den Thaler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. „Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen, und da ist es gar nicht geheuer drüben in der Kirche, denn ich weiß, was ich weiß, und habe gesehen, was ich gesehen habe, aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt.“ Indem hatte er schon die Laterne zurecht gemacht; er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.

„Ei du meine Güte! läßt er sich doch verblenden vom Mammon“, seufzte die Alte im Bette; der Küster aber trat zu ihr mit dem größten seiner Schlüssel, „du schweigst, Ursel! der Herr da soll sehen, daß unsereiner nicht unterm Pantoffel steht“, brummte er und verließ mit dem Diener das Haus.

Die Nacht war grimmkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu; wenige Schritte, so standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe, in einem dunklen Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte.

[27] „Schließ’ auf, schließ’ auf“, sprach Martiniz, „denn es ist hohe Zeit!“ Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade über ihnen im Turme das Uhrwerk, und in tiefen, zitternden Klängen schallte die zwölfte Stunde in die Lüfte.

„Schließ’ auf!“ schrie Martiniz, „schnell auf! dort kommt er schon um die Ecke!“

Seufzend ging die hohe Thüre auf, in einem Sprung war jener in der Kirche. Der Küster schloß behutsam wieder hinter sich ab und ging dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der Laterne an den hohen Säulen des Doms, nur auf wenige Schritte verbreitete es Helle, verschwebte dann in matte Dämmerung, bis es sich in der tiefen Nacht des Gewölbes verlor. Manchmal schien es, als schritten hohe Gestalten in weiten schleppenden Gewändern hinter den Säulen ihnen nach; scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten und ging dann schneller hinter dem Küster her. Dumpf schallten ihre Schritte auf dem hohlen Boden, unter welchem eine alte Gruft sich befand, und ein vielfaches Echo gab diese Töne aus allen Ecken zurück.

So waren sie bis an den Altar gekommen. Martiniz setzte sich dort auf die Stufen, das Gesicht, das bei dem Schein der trübe brennenden Laterne auch viel bleicher erschien, stützte er auf die Hand, daß die glänzend rabenschwarzen Ringellocken darüber herabfielen. Der Diener winkte dem Küster, zog ihn auf eine Bank an der Seite zu sich nieder und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er schweigen und sich ganz ruhig verhalten möchte.

Tiefe Stille herrschte mehrere Minuten in den großen dunklen Hallen, tiefe Stille draußen in der Nacht; nur vom Altar her hörte man ein leises Wispern, Martiniz schien zu beten. Bald aber erhob sich lauter die Nachtluft und wehte um die Kirche, je lauter es wurde, desto unruhiger wurde Emil; er seufzte, er blickte einigemal auf und lauschte nach der Seite hin, wo der Luftzug stärker wehte.

Näher und näher heulte der Wind, die Fenster bebten, das Licht der Laterne wehte seine Schatten her und hin, die alten

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 26–27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_016.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)