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verblichenen Banner, die an der Mauer hingen, rollten sich auf und bewegten ihre zerfetzten Bilder an der schwach beleuchteten Wand.

Jetzt brauste der Sturm auf in gewaltigen Stößen; krachend stürzte ein Fenster des Chors auf die breiten Quader des Bodens, daß der Schall durch die Halle tönte, und – mit fürchterlichem Lachen des Wahnsinns fuhr der am Altar auf und sprang die Stufen hinan. Gellend tönten diese hohlen Töne der Verzweiflung durch die Gewölbe: „Er kann nicht herein, er kann nicht herein zu mir“, schrie er, „darum hat er die Wolken aufgezäumt, auf dem Sturmwind reitet er um die Kirche; ça ça! Holla Antonio – wie schäumt das Purpurblut deiner Wunde! rase, tobe durch die Lüfte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!“

Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind, und säuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche; der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein: „Seht ihr“, sprach er wehmütig und zeigte an die vom Mond beschienenen Fenster hinauf, „seht ihr, wie er so ernst und zürnend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?“

Leiser wurde immer seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem während der schrecklichen Szene die Thränen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstützte seinen Herrn; er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirne und die Thränen aus dem gebrochenen Auge und flößte ihm aus einer kristallenen Phiole[WS 1] mildernde Tropfen ein.

Der Ohnmächtige richtete sich wieder auf, hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche.

Der alte Diener aber trat zu dem Küster: „Ich danke, Alterle“, sagte er, „du hast jetzt gesehen, daß wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshaus gemacht haben; dafür halte aber reinen Mund; und wenn du niemand ein Sterbenswörtchen hören läßt von dem, was du hier gesehen und gehört hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemäß deinen Harten haben.“

[29] „Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen“, antwortete der Küster im Weitergehen, „so viel merke ich, daß Euer Herr entweder nicht richtig unter dem Hute ist, oder daß er mit dem Gottseibeiuns[WS 2] hier Versteckens spielt. Nun hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder. Was das Stillschweigen betrifft, so sei außer Sorgen, von mir erfährt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht, denn ich denke, ‚was sie nicht weiß, macht ihr nicht heiß‘.“

Der alte Diener lobte den Entschluß des Küsters und nahm am Portal mit einem Händedruck von ihm Abschied. „Ist doch schade um ein so junges schönes Blut“, brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Häuschen zu schritt; „so jung und hat schon Affairen mit Herrn Urian[WS 3]. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjährchen reiten; um die harten Thaler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Münster festzumachen.“


Das Souper.

Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Münster zurück über den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums drängten sich Gestalten an Gestalten geschäftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen tönte herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrüche der Fröhlichkeit mit Trompeten vermischt, daß eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei.

„Robert!“ begann der Graf, „ich will noch einmal hinaufgehen; die süßen Töne der Flöten, die klagenden Klänge der Hörner haben etwas Beruhigendes für mich, und mitten im Gewühl der fröhlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, daß ich unter den Glücklichen der einzige Unglückliche bin.“

Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Hausthüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Birnenförmiges, gläsernes Gefäß.
  2. Volkstümliche Bezeichnung für den Teufel.
  3. Herr Urian ist eine scherzhafte oder beschönigende Bezeichnung für den Teufel.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 28–29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_017.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)