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starrst auf den Teller hin, als lesest du in der Johannisbeermarmelade so gut als im Kaffeesatz deine Zukunft, und lächelst dabei, als machten dir alle ledigen Herren, unsern Hofrat mit eingeschlossen, ihr Kompliment!“

Die Glutröte stieg ihr ins Gesicht; sie nahm sich zusammen und mußte doch wieder heimlich lächeln über den guten Papa, der doch auch kein Spürchen von ihren Gedanken haben konnte! Aber als vollends der Hofrat ihr von der andern Seite zuflüsterte: „Der alte Herr hat fehlgeschossen, wir alle könnten uns den Rücken lahm komplimentieren und die Knie’ wund liegen, mein stolzes Trotzköpfchen gönnte keinem einen halben Blick oder ein Viertelchen von dem Engelslächeln, das hier in den Teller ging. Aber da darf nur so ein interessanter Fremder in einem Landau weinen, so ein Signor Bleichwanioso –“

„Ach, wie garstig, Berner! an den habe ich gar nicht mehr gedacht!“ rief sie ärgerlich, daß der Kluge ins Schwarze geschossen haben sollte. Jener aber wischte seine Brille ab, schaute auf Idas silbernen Teller und deutete lachend auf den Rand –

„Gar nicht mehr an ihn gedacht? Welcher Graveur hat denn da gekritzelt? Fräulein Lügenhausen? he?“

Nun, da hatte sich das Mädchen wieder vergaloppiert, hatte, ohne daß sie es im geringsten wußte, unter ihrer Gedankenreihe das Dessertmesser in die Hand bekommen, auf dem Teller herumgekritzelt, und da stand mit hübschen, deutlichen Buchstaben: Emil v. Mart.

„Nein! wie einem doch der Zufall bei bösen Leuten Streiche spielen kann“, replizierte sie mit der unverschämtesten Unbefangenheit, kratzte, indem sie sich selbst über ihre furchtbare Kunst, zu verdrehen, wunderte, in aller Geschwindigkeit ein Schnirkelchen hin, wies dem kurzsichtigen Hofrat den Teller und sagte: „Sehen Sie? da war irgend einmal eine reisende Prinzeß hier, welcher man auf Silber servierte, und um den merkwürdigen Tag ihrer Anwesenheit zu verewigen, schrieb sie die paar Worte hieher: Emilie v. Mart. heißt offenbar ‚Emilie am fünften März‘.“

„Gott im Himmel, was hättest du für einen Rechtskonsulenten und Rabulisten[WS 1] gegeben!“ antwortete Berner und setzte vor [37] Schrecken den frisch eingeschenkten Kelch, den er schon halbwegs gehabt, wieder nieder; „habe ich nicht gesehen, wie du das Ding da kritzeltest, und jetzt thäte es not, ich deprezierte[WS 2] den falschen Verdacht?“ Doch Engelsköpfchen Ida sah ihm so bittend ins Auge, daß er unwillkürlich wieder gut wurde; in den süßesten Schmeicheltönen bat sie ihm die Unart ab, versprach, sich nie mehr aufs Leugnen zu legen, wenn er gelobe, dem Papa nichts zu sagen, der sie wenigstens acht Tage lang mit ihrer Silberschrift necken würde. Er gelobte, mahnte aber, jetzt sich zum Kotillon zu rüsten. „Nur noch ein Viertelstündchen“, bat Ida, weil sie dem widerwärtigen Kreissekretär habe zusagen müssen. Aber das Sträuben half nichts; die Hörner erklangen im Tanzsaal, und die Tafel rüstete sich, aufzubrechen. Da stand der Präsident auf: „Noch einen Kelch, meine Damen“, rief er über die Tafel hin, „noch einen echten Toast aus den guten alten Zeiten; die Gläser hoch – der Liebe und der Freude!“ Die Trompeten schmetterten ihren Freudenruf unter den Jubel, aber mitten durch das Geschmetter, durch das donnerschlagähnliche Wirbeln der Pauken, mitten in dem schrankenlosen Hallo der bechampagnerten Gäste war es Ida, als hörte sie hinter sich tief seufzen; und als sie, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, sich schnell umsah, begegnete sie Emils Auge, der wehmütig, thränenschwer in das Gewühl der Freude schaute. Alles Blut jagte die Überraschung dem Mädchen aus den Wangen, es hatte keinen Atem mehr, und doch konnte es um keinen Preis ihr Auge wieder von ihm abwenden. Doch ehe sie noch ihrer Verlegenheit Meister werden konnte, gerade als sie der schöne, junge Mann anreden zu wollen schien, riß ihn das Gedränge der Aufstehenden aus ihrer Nähe, der Kreissekretär kam mit seinem widrigen, sauersüßen Gesicht, schätzte sich glücklich, den Kotillon errungen zu haben, und führte seine Tänzerin im Triumph durch die dicken Reihen seiner Neider. Sie aber folgte ihm, noch immer über diese Erscheinung, über die Gewalt dieser dunklen Flammensterne sinnend: „Wahrhaftig!“ sagte sie zu sich, „der Hofrat hat doch recht, es muß Menschen geben, die Häkchen im Auge haben, von welchen man sich gar nicht losreißen kann, und dieser muß einen von den großen Angelhaken haben.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Rabulist wird jemand bezeichnet, der sich in einem Wortstreit durch rhetorische Tricks, z. B. mittels „Wortverdreherei“ und „Haarspalterei“, durchsetzen kann und zwar unabhängig von der Sachlage (Wikipedia).
  2. deprezieren = Abbitte leisten
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke, Bd. 2, Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 36–37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_021.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)