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schon drei arme Unglückliche, von der spröden, blinden Mamsell Amor-Justitia verschmäht, hinter dem Stuhl. Es war ihr wohl auch der Gedanke an Martiniz durch das Köpfchen gezogen; aber sie hatte sich selbst recht tüchtig ausgescholten und vorgenommen, ihr Herzchen möge sie ziehen wie es wolle, das Schicksal möge noch so gebietend rufen, sie lasse drei ablaufen, und den vierten wollte sie endlich nehmen.

„Numero vier! gnädiges Fräulein!“ meckerte der Kreissekretär. Sie ließ die Binde lösen, sie schlug die Augen auf und sank in Emils Arme, der sie im schmetternden Wirbel der Trompeten, im Jubelruf der Hörner im Saal umherschwenkte; die Sinne wollten ihr vergehen, sie hatte keinen deutlichen Gedanken als das immer wiederkehrende – der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme; ach! so hätte sie durch das Leben tanzen mögen, ihr war so wohl, so leicht, wie auf den Flügeln der Frühlingslüfte schwebte sie in seinem Arme hin, sie zitterte am ganzen Körper, ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen; sie mußte ihn ansehen, es mochte kosten, was es wollte; sie hob das schmachtende Gesichtchen, ein süßer Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen Stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zoll breit Auge von Auge, Mund von Mund, ach, wie unendlich hübsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Züge, wie schmelzend sein Auge, sein Lächeln, sie hätte mögen die paar Zöllchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kü–

Klatsch, klatsch, mahnten die ungeduldigen Herren, indem sie die glacierten Handschuhe[WS 1] zusammenschlugen, daß die zarten Nähte sprangen; will denn dies Paar ewig tanzen? Ach, ihr Kurzsichtigen, wenn ihr wüßtet, wieviel namenlose Seligkeit in einer solchen kurzen Minute liegt, wie die Pforten des Lebens sich öffnen, wie die Seele hinter die durchsichtige Haut des Auges heraufsteigt, um hinüberzufliegen zu der Schwesterseele – wahrlich, ihr würdet diesen Moment des süßesten Verständnisses nicht durch euer Klatschen verscheuchen.

Der Ball war zu Ende; der Hofrat nahte, Ida den Shawl anzulegen und das wärmende Mäntelchen umzuwerfen; er nahm [41] dann ihren Arm, um sie zur Abkühlung noch ein wenig durch den Saal zu führen. „Sie haben mit ihm getanzt, Töchterchen?“ – „Ja“, antwortete sie, „und wie der tanzt, können Sie sich gar nicht denken; so angenehm, so leicht, so schwebend!“ – „Idchen, Idchen“, warnte der Hofrat lächelnd, „was werden unsere jungen Herren dazu sagen, wenn Sie sie über einem Landfremden so ganz und gar vergessen?“ — „Nun, die können sich wenigstens über das Vergessen nicht beklagen, denn ich habe nie an sie gedacht! Aber sagen Sie selbst, Hofrat, ist er nicht ganz, was man interessant nennt?“ – „Ihnen wenigstens scheint er es zu sein“, antwortete der neckische Alte. „Nein, spaßen Sie jetzt nicht, ist nicht etwas wunderbar Anziehendes an dem Menschen? Etwas, das man nicht recht erklären kann?“ Der Hofrat schwieg nachdenklich. „Wahrhaftig, Sie können recht haben, Mädchen“, sagte er, „habe ich doch den ganzen Abend darüber nachgesonnen, warum ich diesen Menschen gar nicht aus dem Sinne bringen kann.“

„Aber noch etwas“, fiel Ida ein, „wissen Sie nicht, wo er so plötzlich mit dem alten Diener hinging?“ – „Das ist es eben!“ sagte jener, „eine ganz eigene Geschichte mit dem Grafen da; kommt auf den Ball, tanzt nicht, geht fort, bleibt über eine Stunde aus, kommt wieder, und wo blieb er? wo meinen Sie wohl? Er war im Münster!“

„Jetzt eben, in dieser Nacht?“ fragte Ida erschrocken und an allen Gliedern zitternd. „Heute nacht, auf Ehre! ich weiß es gewiß; aber reinen Mund gehalten, Gold-Idchen, morgen komme ich dem Ding auf die Spur.“

Der Wagen war vorgefahren; der Präsident kam in einer Weinlaune: „Hofrätchen“, rief er, „wenn du nicht anderthalbmal ihr Vater sein könntest, wollte ich dir Ida kuppeln!“

„Hätte ich das doch vor dem Ball gewußt!“, jammerte der Hofrat, „aber da gab es allerlei interessante Leute u. s. w.“ Errötend sprang Ida in den Wagen, auf den losen Hofrat scheltend, und umsonst gab sich Papa auf dem Heimweg Mühe, zu erfahren, was jener gemeint habe. Trotzköpfchen hätte mögen laut lachen über die Bitten des alten Herrn; es biß die scharfen Perlenzähne in die Purpurlippen, daß auch kein Wörtchen heraus konnte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Glacéhandschuhe – feine, weiße Lederhandschuhe, die zum Frack oder Smoking getragen werden.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke, Bd. 3, Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 40–41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_023.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)