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wohl anvertrauen darf, im Fall er sich im Lande ansiedelte und sein Vermögen hereinzöge, die Hand der Gräfin Aarstein Exzellenz demselben nicht vorenthalten werden wird.“

Am Anfang dieses Briefes war Ida bei dem Namen Martiniz hoch errötet, denn sie begegnete dem Auge des Hofrats, der über den Brief weg zu ihr hinüber sah; als die Stelle von den drei Millionen kam, wurde die Freude schwächer; ein dreifacher Millionär war nicht für Idas bescheidenere Wünsche, als aber die Hand der Gräfin Aarstein nach ihrem sanften, liebewarmen Herzen griff, da wich alles Blut von den Wangen des zitternden Mädchens, sie senkte das Lockenköpfchen tief, und eine Thräne, die niemand sah als Gott und ihr alter Freund, stahl sich aus den tiefsten Tiefen des gebrochenen Herzens in das verdunkelte Auge und fiel auf den Teller herab.

Sie kannte diese Gräfin Aarstein aus der Residenz her. Sie war die natürliche Tochter des Fürsten …, von ihm mit ungeteilter Vorliebe erzogen, mit einem ungeheuern Vermögen ausgestattet, lebte sie in der Residenz wie eine Fürstin. Sie war einmal einige Jahre verheiratet gewesen, aber ihre allzu vielseitige Menschenliebe hatte den Grafen Aarstein genötigt, seine Person von ihr scheiden und ihr nur seinen Namen zurückzulassen. Seitdem lebte sie in der Residenz; sie galt dort in der großen Welt als Dame, die ihr Leben zu genießen wisse; wenn man aber nur eine Stufe niederer hinhorchte, so hörte man von der Gräfin, daß sie dieses angenehme Leben auf Kosten ihres Rufes führe, zehn Liebeshändel, zwanzig Prozesse auf einmal, Schulden so viele als Steine in ihrem Schmuck, Kokette, die sich nicht entblödet[WS 1], mit dem Geringsten zu liebäugeln, wenn seine Formen ihr gefielen.

So war Gräfin Aarstein, ein unabweislicher Widerwille hatte schon in der Residenz die reine, jungfräuliche Ida von dieser üppigen Buhlerin zurückgeschreckt; so oft sie zu ihren glänzenden Soirees[WS 2] geladen war, wurde sie krank, um nur diese frivolen Augen, diese bis zur Nacktheit zur Schau gestellten Reize nicht zu sehen, und diese Frau, deren Geschäft ein ewiges Gurren und Lachen, Spotten und Persiflieren war, sie sollte der ernste, unglückliche [53] junge Mann mit dem rührenden Zug von Wehmut, dem gefühlvollen, sprechenden Auge –

Berner hatte schweigend den Brief noch einmal überlesen und legte ihn dann mit einem mitleidigen Blick auf Ida zurück; „Nun, was sagen Sie zu dem sonderbaren Auftrag“, fragte der Präsident; „wahr ist es, der Martiniz ist nach dieser Beschreibung ein Goldfisch, den man nicht hinauslassen darf, ja, ja, – man muß negozieren[WS 3], daß er in unserem Kreise bleibt. Da könnte er zum Beispiel Wolldringen kaufen; um zweimalhunderttausend Thälerchen ist Schloß, Gut, Wiesen, Feld, Fluß, See, Berg und Thal, alles, was man nur will, sein. Und dieser Preis ist ein Pappenstiel. So, so, die Aarstein also? Nicht übel gekartet[WS 4] von den Herren; sie soll enorme Schulden haben, die am Ende doch der Fürst übernehmen müßte, die bekommt der Herr Graf in den Kauf. Du kennst die Aarstein, Ida? Sahst du sie oft?“

„Nie!“ antwortete Ida unter den Löckchen hervor und sah noch immer nicht vom Teller auf.

„Nie?“ fragte der Präsident gereizt, „ich will nicht hoffen, daß die gnädige Gräfin meine Tochter nicht in ihren Zirkeln sehen wollte; hat sie dich nie eingeladen, wurdest du ihr nicht vorgestellt?“

„O ja!“ sagte Ida, „sie schickte wohl zwanzigmal, ich kam aber nie dazu, hinzugehen.“

„Was der T–! Ich hätte geglaubt, du wärest ein vernünftiges, gesittetes Mädchen geworden; wie kannst du solche Sottisen[WS 5] begehen und die Einladungen einer Dame, die mit dem fürstlichen Hause so nahe liiert ist, refüsieren?"

„Man hat mich deswegen bei Hof nicht weniger freundlich aufgenommen“, antwortete Ida und hob das von Unmut gerötete Gesichtchen empor, „man hat sich vielleicht gedacht, daß es der Ehre eines unbescholtenen Mädchens wohl anstehe, so fern als möglich von der Frau Gräfin zu bleiben.“

„So sieht es dort aus?“ fragte der Präsident kopfschüttelnd, „nun, nun! heutzutage setzt man sich, wenn man ein wenig Welt hat, darüber weg. Ich mag dir hierüber nichts sagen, ihr jungen Mädchen habt eure eigenen Grundsätze, nur wäre es wegen den

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sich nicht scheuen; sich nicht abhalten lassen (vgl. Grimm).
  2. Abendgesellschaft; eine Zusammenkunft von meist gesellschaftlich höher stehenden Personen zu gemeinsamem Trinken, Musizieren, Theaterspielen, Karten- und Gesellschaftsspielen, Vorlesen und Gesprächen.
  3. negoziieren, handeln, verhandeln, unterhandeln.
  4. Eine heimliche Vereinbarung treffen, etwas abkarten (vgl. Grimm)
  5. Französisch: Frechtheit, Dummheit, Beleidigung, Kränkung.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 52–53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_029.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)