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das möglich, wenn man dieses Auge in Thränen sah? So mit ihrem Schmerz beschäftigt, hatte er ganz überhört, daß man schon zweimal an der Thüre geklopft habe; leise wurde sie endlich geöffnet, auf dem weichen Fußteppich hallte kein Schritt – Ida war es, als wehe sie ein kühlendes Lüftchen an, es war ihr so wunderwohl und süß zu Mut, sie nahm das Tuch von den weinenden Augen und that einen lauten Schrei, denn vor ihr stand in voller Lebensgröße Graf Martiniz.

Auch dem Hofrat erstarb das Wort auf den Lippen vor Staunen, gerade in diesem Augenblick den Mann zu sehen, von welchem er und Ida gesprochen hatten. Doch der gewandte junge Mann ließ sie nicht lange in diesem peinlichen Stillschweigen, er entschuldigte sich, so unberufen eingetreten zu sein, er habe aber niemand zum Anmelden gefunden, und auf sein wiederholtes Pochen habe niemand geantwortet. Er setzte sich neben Ida und fragte mit der Zutraulichkeit eines Hausfreundes, ob er den Grund ihres Kummers nicht wissen dürfe? Ach! er war ja der Grund dieses Kummers, ihm galten ja diese Thränen, die aus den geheimnisvollen Tiefen des liebevollen Mädchenherzens heraufdrangen.

Sie wollte antworten, die Stimme versagte ihr; sie wollte lächeln, aber ihre unwillkürlich strömenden Thränen straften sie Lügen; er hatte so freundlich, so zart gebeten, an ihrem Schmerz teilnehmen zu dürfen, daß es sie immer mehr und mehr rührte. Mit einem Feldherrnauge schaute der Hofrat in diese wirren Verhältnisse; rasch mußten die Blösen benützt werden. Der Zweck heiliget die Mittel, dachte er, wirf sie beide in einen wirbelnden Strom, sie werden sich eher finden, sich vereint an den Strand hinausretten; er ergriff also sein Hütchen, brach auf und flüsterte dem Grafen laut genug, daß es Ida hören konnte, ins Ohr:

„Und wenn Sie noch zehn Jahre so dasitzen und nach ihrem Kummer fragen, sie sagt Ihnen doch nicht, warum sie weint. Um Sie, bester Graf, weint das Fräulein, weil sie meint, Sie seien unglücklich, und doch nicht helfen kann.“ Mit schnellen Schritten witschte er aus dem Zimmer, es war ihm zu Mut wie einem, der gesäet hat und doch nicht weiß, was aufgehen wird. „Der [115] Würfel liegt“, sprach er bei sich, als er die Treppe hinabeilte, „er liegt, zählet nun selbst die Augen und vergleichet euer Gerad oder Ungerad!“



Entdeckung.

Die beiden jungen Leutchen saßen sich gegenüber wie die Ölgötzen; keines wagte von Anfang ein Wörtchen zu sagen, selbst den Atem hielten sie fest an sich. Dem Fräulein hatte der Hofrat durch seinen gewagten Scherz alles Blut aus den rosigen Wangen gejagt; es war ihr, als stäche ihr einer einen Dolch von Eiszapfen in das glühende Herz, und ein anderer schütte eine Kufe[WS 1] des kältesten Wassers über sie herab, und im nächsten Augenblick war ihr wieder so brühsüdheiß zu Mut, als ob die Feuerflammen-Brandung der Lava in ihren Adern siedet und ein Rheinstrom von rotglühendem, flüssigem Eisen durch alle ihre Nerven sich ergösse. Sie wußte nicht, sollte sie aufspringen und davonlaufen, sollte sie lachen oder vor Unmut über diese Unzartheit weinen, ein tiefer Seufzer entriß sich dem gepreßten Herzen –

Und Martiniz – was hilft in solchen Momenten das vollendetste Studium dessen, was wir Welt nennen? Er war auf Hofbällen von Kaisern und Königen gewesen, er hatte mit einer Fürstin eine Polonäse eröffnet und ihr dabei die Schleppe von der drap d’argentenen[WS 2] Hofrobe abgetreten, daß ihr die Fetzen vom Leib hingen, und hatte dennoch dabei die Fassung behalten, obgleich die Durchlaucht einen ganzen Kartätschenhagel aus ihrer Augenbatterie auf ihn spielen ließ. Er hatte – doch was konnte es ihm in diesem süßen Augenblick helfen, daß er sich sonst nicht so leicht verblüffen ließ? Der Moment riß ihn hin; sie, die er mit aller Macht heimlicher Glut liebte, sie, die in seinen Träumen allnächtlich ihm erschien und ihn zum Gott machte, sie hatte um ihn geweint, weil sie ihn für unglücklich hielt.

Und als er jetzt zu ihr hinaufblinzelte, als er die rührende Scham auf dem engelreinen Gesichtchen, das holde Lächeln um den Mund, tiefer hinab die Schneepracht des Halses, dieses Nackens, dieser Brust ansah – er hatte auf seiner großen Tour alle Galerien der Welt, die Kunstschätze der Malerei, die lockenden,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Alte Maßeinheit, benannt nach dem gleichnamigen Behältnis (Eimer).
  2. Drap d’argent bezeichnet einen silbernen, reich verzierten Stoff.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 114–115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_060.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)