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eine persönliche Zusammenkunft mit ihm schlug ich in meiner Wut aus, so stellte er sich denn mit seinem ganzen Unglück, mit seinem noch größeren Edelmut vor die Mündung meiner Pistole. Jenen ganzen Tag, da ich die Schuld meiner Schwester und seine Unschuld erfuhr, wütete ich gegen mich selbst.

Ich wurde ruhiger, als es Abend wurde, aber zu derselben Stunde, wo er verschieden war, fühlte ich auf einmal seine Nähe, sein blutbedecktes Bild stand vor mir da, meine Seele faßte das Schreckliche nicht, ich verfiel in Wahnsinn. Seit jener schrecklichen Stunde naht er mir alle Nacht und zeigt mir seine klaffende Wunde; kein Raum ist ihm zu weit, kein Gebet verscheucht ihn, er würde mir im frohesten Zirkel meiner Freunde erscheinen.

Nur in eine Kirche scheint er sich nicht zu wagen, und meine letzte Zuflucht ist, mich jede Nacht an den Altar zu retten. Mein Leben ist für jede Freude verloren, mir blüht kein Frühling mehr, die Natur ist mir erstorben; ein rastloser Flüchtling, eile ich über die Erde hin, verfolgt vom Gespenste dessen, den mein unüberlegter Rachedurst erschlug. Ich bin Kain, der seinen edlen Bruder ermordete; ich fliehe und fliehe, bis sich mir eine frühe Grube öffnet, wohin sein blutiger Schatten nicht mehr dringt, wo ich ausruhe, ungekannt, unbeweint, der letzte Sprosse meines Stammes, ohne Denkmal als das der Blumen, die der Frühling aus meiner Asche keimen läßt.“

Ohne Idas Antwort abzuwarten, hatte sich nach den letzten Worten Martiniz erhoben und war davongeeilt. Er war von seiner eigenen Erzählung so ergriffen, daß er die laute Teilnahme des geliebten Mädchens in diesem Augenblick nicht hätte ertragen können. Ihre zarte, stille Teilnahme, die tausend Zeichen der lautlosen Liebessprache hatten ohnedies schon so heftig auf ihn gewirkt, daß er die rasende Glut in seinem gepreßten Herzen kaum mehr beschwichtigen, daß er sich kaum enthalten konnte, die Thränen, die seinem Unglück flossen, von den zarten Wangen zu küssen. Wie eine trauernde Andromache saß Ida, das Engelsköpfchen auf ihr schneeweißes Händchen gestützt, und ließ die Thränen herab in den Schoß rollen. Nach und nach schien sie aber ruhiger zu werden, sie sah oft auf, und dann lag in dem schönen Auge etwas [119] so Schwärmerisch-Sinnendes, daß man glauben durfte, sie sinne über einen großen Entschluß nach.

So traf sie Berner, der mit einem Armensündergesicht zur Thüre hereinguckte; es hatte ihm unterwegs, nachdem der erste Kitzel über seinen gewagten Feldherrn-Einfall vorüber war, doch ein wenig das Gewissen geschlagen, daß er die Leutchen so im heillosen Zappel zurückgelassen habe; er mußte sich gestehen, daß die Sache auf diese Manier ebenso leicht ganz über den Haufen gerannt werden konnte; – doch da war er ja der Mann dazu, auch die vereiteltsten Verhältnisse wieder zu entwirren. „Haben sie sich auch, wie ungeschickte Hauderer[WS 1], ein wenig verfahren“, dachte er, „der alte Berner weiß sie schon wieder ins rechte Gleis zu bringen.“ Als er aber den Grafen nicht mehr traf, als er sah, daß das Mädchen so gar bitterlich weinte und schluchzte, daß es einen Stein in der Erde hätte erbarmen mögen – da krießelte es ihm doch den Rücken hinauf, eine Gänsehaut flog über seinen Kadaver und schnürte ihm die Brust zusammen. – „Sicher einen dummen Streich gemacht“, brummte er vor sich hin; da schaute sich Ida nach ihm um, unter den verweinten Augen hervor traf ihn doch ein so mildes Lächeln, daß es ihm wieder wohl und warm wurde, als hätte er den besten Extrait d’Absinthe vor den Magen geschlagen. – „Habe ich ein dummes Streichelchen gemacht, mein Kindchen?“ fragte er kleinlaut, machte aber so verschmitzte, kluge Äuglein dazu, daß Ida, so ernst sie sein wollte, lächeln mußte; sie gab ihm die Hand und erzählte ihm, wie sie von Anfang durch seine doch etwas gar zu indiskrete Äußerung sehr außer Kontenance gekommen, daß sie ihm aber jetzt nicht genug danken könne, denn der Graf habe ihr all sein Unglück, sein Leiden erzählt, und sie seie wie von ihrem Leben überzeugt, daß er von seinem Phantome könne befreit werden. Jetzt hatte ja der Hofrat Ida auf dem Punkt, wo er sie haben wollte; jetzt war er mit der ganzen Geschichte auf einmal im klaren und rieb sich unter dem Tisch vor Freuden und lauter Seligkeit die Hände. „Sie können und müssen ihn retten, und darum hat mir mein Genius das tolle Wagestück von vorhin eingegeben; Sie müssen ihn überzeugen, daß alles Ausgeburt seiner Phantasie ist; Sie müssen machen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Hauderer bezeichnete man Mietkutschenfahrer.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 118–119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_062.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)