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die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; – er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schönen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen, und es werde in schmetternden Tönen Marsch, Marsch geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Negligee, sie öffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schöneres sehen als das Mädchen, wie es hier im Fenster stand. Die Äuglein sahen so klar und freundlich aus dem Köpfchen, die Bäckchen von der kalten Morgenluft gerötet, das Mäulchen so süß und kußlich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthäubchen, der Hals frei und dann ein Spenzerchen, so weiß wie frisch gefallener Schnee, über Nacken und Brust herab. Tausend Löckchen und Stränge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Häubchen sich durchgestohlen hatten – das ganze Wunderkind sah aus wie ein süßer Morgentraum –

Noch einmal sah der Graf nach diesem Engelsbild herauf, das in der Glorie der jungfräulichen Unschuld, mit der Wehmut gekränkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah – noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Thräne blitzte in seinem Auge; jetzt aber stieß er seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es wuterfüllt kerzengerade aufstand, unwillkürlich bog sich seine Hand nach dem Mund, er warf ihr einen herzlichen Kuß zu: „Adieu, mon cœur!“ rief er, und dahin flogen die Reuter, in einem Augenblick war nichts mehr von ihnen zu sehen.

„Was war das, wem galt das?“ fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zärtlich herauf, er warf einen Kuß herauf – wem flog er zu? Ihr oder der Grä– konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein, konnte er nicht ihr den Kuß zugeworfen? – Sie mußte Gewißheit haben, sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Gräfin schon aufgestanden sei? – Exzellenz lagen noch schuhtief in den Federn und schliefen. „Also mir, mir, –“, lächelte das stillselige Mädchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach [177] dem Fleckchen Erde, wo er gehalten, wo er ihr seinen Gruß, seinen Kuß zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Gräfin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuß geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben mußte, zu kränken? Doch nein, ihr hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegrüßt, sie, sie war die Glückliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fühlte, daß sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog.

Jetzt versank sie in angenehme Träume; sie wiederholte sich, wie engelhübsch er ausgesehen habe; sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander wären, ihn recht auszuschmälen, daß er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschön stand. So träumte sie, das liebliche, bräutliche Mädchen, sie ahnete nicht, welchen gefährlichen Gang der Geliebte ging, und daß die Parze so schnell den Faden ihres Glückes zerreißen, daß dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, für immer ausgeschlagen haben würde, daß die kühnen, liebesprühenden Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schließen werden, aus welchem auch die süßeste Stimme, das zärtlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt.



Das Duell.

Vor der Stadt hatten die drei Reiter ihre Pferde angehalten und ließen sie jetzt im Schritt dem bestimmten Ort zugehen; sie schwiegen eine Zeitlang, und jeder schien seinen besondern Gedanken nachzuhängen. Emils Brust erfüllte die Qual aller Zweifel an Ida. Es war ihm da einmal, als stehe sie, wie er sie eben gesehen hatte, in blendend reiner Unschuld vor ihm und flüsterte ihm mit sanfter Stimme Vorwürfe zu, daß er auch nur einen Augenblick habe an ihr zweifeln können; dann kamen wieder alle Qualen der Eifersucht über ihn, er wiederholte sich alles, was er zwischen ihr und Sporeneck bemerkt hatte, und das Billet von gestern – „Nein! sie ist schuldig“, rief er laut und unmutig. Gestern abend nämlich, als Schulderoff sie verlassen hatte, war Brktzwisl gekommen und hatte einen kleinen Zettel gebracht, der

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 176–177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_091.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)