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Nachschrift.

Es ist ein schöner Brauch unter guten Menschen, die sich lieben und getrennt sind, daß sie gewisse Tage des Jahres festsetzen, in welchen sie sich von nahen und entfernten Orten her sammeln, sich wiedersehen und die Strahlen ihrer Liebe von neuem an der allgemeinen Flamme anzünden. So halte ich es seit langen Jahren mit meinen Freunden, die das Schicksal nach Ost und nach West verschlagen. Auch heuer war ich hingereist an den Ort, den wir zu unserem Rendezvous bestimmt hatten. Als ich an dem stattlichen Weißen Hirsch in B. vorfuhr, lagen schon manche Fenster voll, und wie wohl thut da das freundliche, jubelnde: „Er ist’s, er ist’s“, das von schönen Lippen herab dem Freunde entgegentönt!

Ich traf sie alle, alle meine Lieben, da war meine holde, sinnige Doralice und ihr Stern, da war die lose, naive Vally und ihr Geheimer Kriegsrat, da war Graf Law und seine Klementine, da war meine süße Mimili, da war Herr von Estavayé mit seinem Elfi, da war mein russisches Lisli, selbst Sponseri, mein lieber Sponseri, ich hieß ihn nur immer den Grünmantel, hatte sich aus Venedig eingefunden und Emeline Mellinger mitgebracht, da war auch Fanny und ihr Graf, der Generalbevollmächtigte, Kilian mit Julchen. Da war Molly und ihr Justizrat, da war die herzige Pina und ihr Gatte, Agnes und Rose, Rosamunde und der Graf Oliva, das liebe Dijon-Röschen, Klotilde, und ihr Sekretär[1]. – Meine Freude war unaussprechlich, ich flog wie ein Ball von einem Arm in den andern, und das Küssen wollte gar kein Ende nehmen. Endlich faßte man sich, daß es doch zu einem vernünftigen Gespräch kam. Freilich trübte der Tod unserer Magdalis und ihres treuen Wilibald, die uns im Leben so nahe standen und auch nach ihrem Tode so innig verschwistert mit uns fortleben, die ersten Augenblicke des Wiedersehens; aber nachdem wir [219] ihnen das Totenopfer inniger Thränen geweiht, kehrte die holde Freude wieder bei uns ein.

Wir tollten, lachten und schäkerten, der Weiße Hirsch faßte kaum so viele Gäste, und manches Pärchen mußte sich mit einem Bettchen behelfen.

So lebten wir schon seit zwei Tagen in Saus und Braus und brachen dem Weißen Hirschwirt beinahe das Haus ab, da – wir saßen gerade beim Kaffee, da fuhren Wagen vor; wir drängten uns alle an die Fenster und schlugen den fremden Menschenkindern ein Schnippchen, denn – gut Essen und Trinken konnten sie wohl bekommen, aber Betten – Logis – ohne unsere Bewilligung kein Fleckchen, und landfremde Leute mochten wir gerade nicht gerne unter uns haben. In einem prächtigen Landau mit vier Postpferden bespannt, saß ein Herr und eine junge Dame; sie hoben die Köpfe in die Höhe –

„Mein Gott, das ist ja Graf Martiniz!“ rief ich, und zugleich rief Vally: „Ei der Tausend, das ist ja Ida Sanden!“ Ich sprang gleich hinab, um sie heraufzuführen; sie folgten willig nebst noch drei andern ältlichen Herren, welche der zweite Wagen entladen hatte. Ida und Vally flogen einander in die Arme; sie hatten sich in der Residenz, wo Vally lebt, kennen gelernt und liebten einander innig. Der Graf zog mich zu den beiden jungen Damen, um welche die übrigen schon einen dichten Kreis geschlossen hatten. „Sehen Sie“, sagte er zu mir, „das ist seit gestern mein liebes Frauchen.“

Da fanden sich also alte Bekannte zusammen. Ich hatte den Grafen in Hamburg kennen gelernt. Damals faßte ich tiefe Zuneigung zu ihm, sie wurde zur Freundschaft, und er gestand mir seine schrecklichen Leiden. So wenig ich an solche Visionen glaubte, so war ich doch der Meinung, daß ihn Liebe zu einem guten, reinen Mädchen zerstreuen, retten könnte, und wie herrlich hatte sich dieses gemacht; er war fröhlich, selig, war durch die Liebe dieses Engels der Menschheit wieder geschenkt.

Auch in den drei andern Gästen, der Leser wird unschwer den alten Martiniz, den Präsidenten und den Hofrat in ihnen erkannt haben, lernte ich wackere, liebenswürdige Männer kennen.


  1. Sämtlich Namen aus Claurenschen Romanen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 218–219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_112.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)