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schlecht gefahren; doch, komm’, stoß’ an; der Don soll alles gut machen.“

Fröben, so sehr sein Herz, sein zärterer Sinn durch alles, was er hier sah und hörte, verletzt wurde, wagte nichts entgegenzureden. Er folgte dem Hausherrn, als dieser jetzt aufstand, hielt seine Umarmung geduldig aus und nahm sogar, mehr um Josephen so bald nach diesem Vorfall nicht zu sehen, als aus Freude an des Barons Gesellschaft, seine Einladung an, ihn nach der neuen Dampfmühle zu begleiten. Die Pferde wurden vorgeführt, die Männer schwangen sich auf, und schon wollte Fröben um die Ecke biegen, als er noch einen Blick zurückwarf und Josephens Gestalt im Fenster erblickte; sie zog ihr Tuch von dem Auge, sie blickte ihnen wehmütig nach, sie grüßte mit der zierlichen Hand. „Deine Frau winkt uns noch, um Abschied zu nehmen“, rief er Faldner zu; aber dieser lachte ihn aus. „Was meinst du denn?“ sagte er im Weiterreiten. „Glaubst du, ich habe sie so zart und weich gewöhnt, daß wir auf einen Nachmittag mit Küssen und Drücken, mit Grüßen und Nastuchwedeln Abschied nehmen? Gott bewahre mich, dadurch verwöhnt man die Weiber, und wenn es dir einmal begegnen sollte, daß du auch heiratest, so mache es um Gotteswillen wie ich. Kein Wort von einer Reise oder einem Spazierritt vorher. Das Pferd wird vorgeführt – ‚Wohin, mein Lieber?‘ fragt sie dann das erste oder zweite Mal. Keine Antwort, sondern die Handschuh angezogen. ‚Aber wirst du mich denn so allein lassen?‘ fragt sie weiter und streichelt dir die Wangen; du nimmst getrost die Reitpeitsche und sagst: ‚Ja, will heute abend noch auf das Vorwerk, es ist dies und das zu thun. Adje! und wenn ich bis 9 Uhr nicht zu Hause bin, brauchst du mit der Suppe nicht zu warten.‘ Sie erschrickt, du achtest es nicht; sie will nach, du winkst ihr mit der Reitgerte zurück; sie stürzt ans Fenster, hängt sich und das Thränentüchlein heraus und ruft adje! und wedelt hin und her mit dem weißen Fahnen. Laß wehen und achte nicht darauf. Drück’ dem Gaul die Sporen in den Leib und davon; ich kann dir schwören, das setzt die Weiber in Respekt. Das dritte Mal fragte die meine nicht mehr, und gottlob! das Gewinsel hat ein Ende!“

[319] Der Baron hatte während dieser trefflichen Rede in größter Gemütsruhe eine Pfeife gestopft, Feuer angeschlagen und dampfte jetzt, indem er seine Felder und Wälder überschaute, ohne eine Antwort seines Gastes zu erwarten; aber dieser preßte die Lippen zusammen, und noch stärker preßte die Rede des rohen Mannes sein volles Herz. „O du Hund von einem Menschen“, sprach er bei sich, „schlechter noch als ein Hund, denn der Herr hat dir ja Vernunft gegeben. Wie man ein Pferd zureitet oder einen Baum in bessere Erde setzt, hast du gelernt, aber eine schöne Seele zu behandeln, ein liebendes Herz zu verstehen, liegt außer deinen Grenzen. Wie sie ihm nachsah, so voll Wehmut, denn er hatte ja nicht von ihr Abschied genommen, so voll Engelsgeduld, sie hatte ihm ja seine rohen Worte schon wieder vergeben; mit einem Blick so voll von Liebe! Von Liebe? Kann sie ihn denn lieben? Wird nicht ihr zarter Sinn tausendmal von ihm beleidigt? Sieht sie denn nicht, wie er seinem Jagdhund mehr Zärtlichkeit beweist als ihr? Oder wie?“ fuhr er in seinem Hinträumen fort, „sollte sie, weil sie einmal sein Weib geworden ist, Zärtlichkeit für den fühlen, den sie an Geist so weit überragt und den sie dennoch – fürchtet? Oder sollte es immer und ewig das Los dieser armen Wesen sein, daß unter Hunderten nur eine wahrhaft lieben darf, daß die andern, von der Natur zu einem herrlichen Gefäß zärtlicher, hoher Liebe ausgerüstet, erwachsen, blühen, verwelken, ohne wahre Liebe zu kennen? Doch, dieser Gedanke wäre mir noch erträglicher als der, daß sie ihn wirklich lieben könnte! Nein, es kann, es darf nicht sein.“ Unwillkürlich hatte er bei den letzten Worten durch eine rasche Bewegung seinem Pferde die Sporen gegeben, es raffte sich auf und flog dahin. „Ho, ho, Junge! Du willst mit mir in die Wette reiten?“ rief ihm der Baron nach und steckte die Pfeife bei. „Zweihundert Schritte gebe ich dir vor und hole dich dennoch ein.“ Kunstgerecht berechnete er dann den Zwischenraum, und als er dachte, Fröben habe die vorgegebenen Schritte zurückgelegt, ließ er sein Pferd weit ausstreichen und gelangte zu seinem nicht geringen Triumph in demselben Moment mit dem Freunde vor der Dampfmühle an.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 318–319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_162.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)