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Dinge in einer Reihenfolge, so haben Sie einen unserer gewöhnlicheren Romane von verlorenen Söhnen etc. und nicht einmal einen rechten Jammer, um mich so auszudrücken, als etwa Le Beauts Ermordung durch den Hofjunker oder das tragische Ende des Lords im fünften Akt. Aber welch ein Leben, welch eine Welt wird aus dieser Geschichte, wenn ihr jener[WS 1] Dichter seinen Blumenmantel umhängt! Welche geistreiche Luft, höher und reiner als jede irdische, kömmt uns aus der verehrenden Liebe Viktors und Klothildens zu ihrem Lehrer Emanuel, welche Wehmut aus den Täuschungen eines kalten Lebens, wenn Viktor und jenes liebenswürdige Wesen sich verkennen, nicht finden; welche Wonne endlich, wenn ihre Seelen unter dem nächtlichen, gestirnten Himmel im Schmerz der Trennung sich aufschließen und überströmen in Liebe?!“

„Ja“, rief der junge Mann, „unser Dichter ist wie ein großer Musiker. Er hat ein ausgespieltes, altes, längst gehörtes Thema vor sich; aber indem er den Gang des alten Liedchens beibehält, führt er die Gedanken auf eine Weise aus, die uns so überraschend, so neu erscheint, daß wir das Thema vergessen und nur auf die Wendungen horchen, in die er übergeht, in welchen er die Himmelsleiter der Töne wie ein Engel auf und ab geht und uns einen geöffneten, seligen Himmel im Traume zeigt, während wir vielleicht, wie Jakob in der Wirklichkeit, auf recht hartem Lager liegen. Dann ist er bald weich wie eine Flöte, durchdringend wie die Hoboe, bald voll, rührend wie das Waldhorn aus der Ferne, bald braust er daher wie mit den mächtigsten, tiefsten Bässen, majestätisch, erhaben, bald nur sanft lispelnd wie die Äolsharfe oder in Wehmut aufgelöst wie die Töne der Harmonika.“

„Wie danke ich es ihm“, sagte Josephe weich, „daß er versöhnt, daß er die Wunden unserer Wehmut heilt. Es hätte ja in seiner Macht gestanden, Klothilden untergehen zu lassen im Schmerz unerwiderter Liebe, vor ihrem Tode hätte ihr Viktor noch zugerufen: ‚Ich liebte dich ja über alles‘, und sie wäre lächelnd eingeschlafen. Denken Sie sich den ungeheuern Schmerz, die Bitterkeit gegen das Geschick, wenn wir diese Menschen so hätten untergehen sehen, ohne Hoffnung, ohne Trost! Aber es wäre ja nicht [327] möglich gewesen; Viktor hätte nicht so lange geliebt, hätte sich an Joachime oder die Fürstin hingegeben, denn ein Mann kann ja ohne erwiderte Liebe nicht lange lieben!“

„Glauben Sie das wirklich?“ erwiderte Fröben wehmütig lächelnd. „O wie wenig müssen Sie uns kennen, wie klein müssen Sie von uns denken, wenn wir nicht einmal den Mut besäßen, dieses kurze Leben hindurch treu zu lieben, auch ohne geliebt zu werden!“

„Ich halte es bei Frauen für möglich“, sagte die schöne Frau, „Liebe ohne Gegenliebe ist ein tiefes Unglück, und Frauen sind ja mehr dazu gemacht, stille Leiden zu tragen ein Erdenleben lang, als ihr. Der Mann würde einen solchen Gram von sich werfen, oder der glühende Kummer müßte ihn verzehren!“

„Beides nicht – ich lebe ja noch und liebe“, sagte Fröben, zerstreut vor sich hinblickend.

„Sie lieben!“ rief Josephe, und mit so eigenem Ton, daß der junge Mann erschreckt aufblickte; sie schlug die Augen nieder, als ihr sein Blick begegnete, eine tiefe Röte überflog ihr Gesicht und ging ebenso schnell wieder in tiefe Blässe über.

„Ja“, sagte er, indem es ihm mit Mühe gelang, es scherzhaft zu sagen, „der Fall, den Sie setzten, ist der meinige, und noch liebe ich, vielleicht ruhiger, aber nicht minder innig als am ersten Tag, ich liebe sogar beinahe ohne Hoffnung, denn die Dame meines Herzens weiß nicht um meine Liebe, und dennoch, wie Sie sehen, hat mich der Kummer noch nicht getötet.“

„Und darf man wissen“, sagte sie zutraulich, aber, wie es Fröben schien, mit zitternder Stimme, „darf man wissen, wer die Glückliche ist –“

„Ach, sehen Sie, das ist gerade das Unglück, ich weiß ja nicht, wer sie ist, noch wo sie sich aufhält, und liebe dennoch; ja, Sie werden mich für einen zweiten Don Quichotte halten, wenn ich gestehe, daß ich sie nur einigemal flüchtig sah, mich nur noch einiger Partien ihres Gesichtes erinnern kann und dennoch in der Welt umherstreife, um sie zu finden, weil es mir zu Hause keine Ruhe läßt.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: jenem
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 326–327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_166.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)