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auf den Tisch und setzte sich nieder. Lanbek, der jenen nicht zuerst anreden mochte, bewegte sich, um anzudeuten, daß er nicht mehr schlafe. „Bon jour, mein Herr!“ sagte der Offizier, als er ihn sah. „Wollen Sie vielleicht mein Dejeuner mit mir teilen?“

Die Stimme schien Gustav bekannt; er stand auf, trat höflich grüßend näher, und mit einem Ausruf des Staunens standen sich die beiden jungen Männer gegenüber. „Parole d’honneur, Herr Bruder!“ rief der Kapitän von Reelzingen, „dich hätte ich hier nicht gesucht! Wie kömmst du in Arrest? Weiß Gott, Blankenberg hatte nicht unrecht, als er prätendierte, du werdest irgend etwas contra rationem riskieren.“

„Ich möchte dich fragen, Kapitän“, entgegnete der junge Mann, „warum ich hier sitze? Mir hat kein Mensch den Grund angegeben, warum man mich gefangen nehme; du hast die Wache, Reelzingen; bitte dich, du mußt doch wissen –“

„Dieu me garde! ich?“ rief der Kapitän lachend. „Meinst du, er habe mich mit seiner besondern Ästimation beehrt und in seine Konfidence gezogen? Nein, Herr Bruder! Als ich ablöste, sagte mir der Lieutenant von gestern: ‚Oben sitzt einer, den sie vom Karneval auf ausdrücklichen Befehl hergebracht haben.‘ Er pflegt es gewöhnlich so zu machen.“

„Wer pflegt es so zu machen?“ fragte Lanbek erblassend.

„Wer?“ erwiderte jener leise flüsternd. „Dein Schwager in spe, der Jude.“

„Wie?“ fuhr jener errötend fort. „Du glaubst er selbst? Ich hoffte bisher, es sei vielleicht eine Verwechslung vorgefallen; du hast wohl von dem Auftritte gehört, der, bald nachdem ich euch verlassen hatte, mit dem Juden vorfiel, man rief etwas von katholisch werden, und da fuhr der Finanzdirektor auf –“

„Was sagst du?“ unterbrach ihn der Kapitän mit ernster Miene, indem er näher zu dem Freund trat und seine Hand faßte. „Das war es also? Uns hat man es anders erzählt; wie ging es zu? Was hat man gerufen?“

Den Aktuarius befremdete der Ernst, den er auf den Zügen des sonst so fröhlichen und sorglosen Freundes las, nicht wenig; er erzählte den Vorfall, wie er ihn mit angesehen hatte, und sah, [401] wie sich die Neugierde des Freundes mehr und mehr steigerte, wie seine Blicke feuriger wurden; als er aber beschrieb, wie Süß nach jenem geheimnisvollen Ausruf wütend geworden und aufgesprungen sei, da fühlte er die Hand des Kapitäns auf sonderbare Weise in der seinigen zucken. „Was bewegt dich so sehr?“ fragte Gustav befremdet. „Wie nimmst du nur an solchen Karnevalsscherzen, die am Ende auf irgend eine Thorheit hinauslaufen, solchen Anteil? Wenn ich nicht wüßte, daß du evangelisch bist, ich glaubte, mein Bericht habe dich beleidigt.“

„Herr Bruder!“ erwiderte der Kapitän, indem er seinen Ernst hinter einem gleichgültigen Lächeln zu verbergen suchte. „Du kennst mich ja, mich interessiert alles auf der Welt, und ich bin erstaunlich neugierig; überdies ist manches ernster, als man glaubt, und im Scherz liegt oft Bedeutung.“

„Wie verstehst du das?“ sagte der Aktuarius verwundert. „Was macht dich so nachdenklich? Hast du wieder Schulden? Kann ich dir vielleicht mit etwas dienen?“

„Bruderherz“, entgegnete der Soldat, „du mußt in den letzten Wochen gewaltig verliebt gewesen sein, sonst wäre deinem klaren Blick manches nicht entgangen, was selbst an meinem leichten Sinn nicht vorüberschlüpfte. Sag’ einmal, was spricht der Papa von diesen Zeiten? Sprichst du den Obrist von Röder nie bei ihm? Waren nicht am Freitag abend die Prälaten in eurem Hause?“

„Du sprichst in Rätseln, Kapitän!“ antwortete der junge Mann staunend. „Was soll mein Vater mit einem Obrist von der Leibschwadron und mit Prälaten?“

„Freund, mach’ es kurz!“ sagte Reelzingen. „Halte mich in solchen Dingen nicht für leichtsinnig; ich will mich nicht in euer Vertrauen eindrängen, aber ich kann dir sagen, daß ich dennoch schon ziemlich viel weiß, und – parole d’honneur!“ setzte er hinzu, „ich denke darüber, wie es einem Edelmann und meinem Portepee geziemt.“

„Was geht mich dein alter Adelsbrief und dein neues Portepee an?“ erwiderte unmutig der Aktuar. „Und wie kömmst du dazu, dich mit diesen Dingen gegen mich breit zu machen? Ich sage dir, daß ich von allem, was du da so geheimnisvoll schwatzst,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 400–401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_203.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)