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Augen beinahe zu, und an seiner Stirne begann eine Ader hoch anzuschwellen. „Was ist das?“ sagte er streng, „wie soll ich diese Redensart deuten?“

„Herr Minister“, erwiderte Gustav gefaßter, „bedenken Sie doch den Unterschied der Religion.“

„Habt Ihr diesen bedacht, Herr! als Ihr meiner Schwester diese Liebeleien in den Kopf setztet? Aber ich kann Euch darüber trösten, Lea wird Euch in dieser Hinsicht kein Hindernis geben. Ihr schweigt?“ fuhr er heftiger fort, „soll ich mit Eurem Vater darüber reden, junger Mensch? War etwa meine Schwester gut genug dazu, Eure müßigen Stunden auszufüllen, zur Gattin aber wollt Ihr sie nicht? Wehe Euch, wenn Ihr so dächtet, dich und deinen ganzen Stamm würde ich verderben! Euer Vater ist gestern eines schweren Verbrechens schuldig worden, es steht in meiner Hand, ihn zur Verantwortung zu ziehen; in Eure Hand lege ich nun das Schicksal Eures Vaters; entweder – Ihr macht Eure Unvorsichtigkeit gegen mein Haus gut und heiratet meine Schwester, oder ich erkläre Euch öffentlich für einen Schurken und lasse den Herrn Konsulenten in Ketten legen. Vier Wochen gebe ich Euch Bedenkzeit; mein Haus steht Euch offen, Ihr könnt Eure Braut besuchen, so oft Ihr wollt; vier Wochen, versteht Ihr mich? Jetzt seid Ihr frei, und morgen, Herr Expeditionsrat, werdet Ihr Euer Amt antreten.“

Nach diesen Worten verbeugte er sich kurz und verließ stolzen Schrittes das Zimmer; dem Kapitän, den er im Vorzimmer traf, befahl er, Kleider für den Herrn Expeditionsrat herbeischaffen zu lassen und ihm seine Freiheit anzukündigen.

Staunend über diesen ganzen Vorfall, besonders über die letzten Worte des Ministers, trat Reelzingen in sein Zimmer. Er fand den Freund bleich und verstört, die Arme über die Brust gekreuzt, das Haupt kraftlos auf die Brust herabgesunken. „Nun, sag’ mir ums Himmelswillen“, fing der Kapitän an, indem er vor Gustav stehen blieb, „was wollte er bei dir? Warum ließ er dich verhaften? Was hat sein Besuch zu bedeuten?“

„Er kam, um mir zu gratulieren“, antwortete er mit sonderbarem Lächeln.

[409] „Zu gratulieren? Wozu? Daß du eine Nacht auf der Wache zubrachtest?“

„Nein, weil ich in dieser Nacht Expeditionsrat geworden bin.“

„Du?“ rief der Kapitän lachend. „Gottlob, daß du so heiter bist und scherzen kannst; als ich hereintrat und dich sah, glaubte ich dich nicht so spaßhaft zu finden; aber im Ernst, Freund, was wollte der Jude?“

„Ich sagte es ja, und es ist Ernst; zum Rat hat er mich gemacht. Ist das nicht ein schönes Avancement[WS 1]?“

Der Kapitän sah ihn mit zweifelhaften Blicken lange an; endlich sagte er gerührt: „Nein, du kannst nicht auch zum Schurken werden, Gustav; Gott weiß, wie dies zusammenhängen mag! Aber siehe, wenn ich dich nicht so lange und so genau kennte – glaube mir, die Welt wird dich hart beurteilen; doch nein, du lächelst, gestehe, es ist alles Scherz. Expeditionsrat! Ebensogut könntest du seine Schwester heiraten.“

„Ei, das wird ja auch geschehen“, sagte Lanbek düster lächelnd; „in vier Wochen, meint mein Schwager, soll die Hochzeit sein.“

„Tod und Hölle!“ fuhr der Kapitän auf, „mach’ mich nicht rasend mit diesen Antworten. Wahrhaftig, mit solchen Dingen ist nicht zu spaßen.“

„Wer sagt dir denn, daß ich spaße?“ erwiderte Lanbek, indem er langsam aufstand; „es ist alles so, wie ich sagte, auf Ehre.“

Dem Kapitän schwamm eine Thräne im Auge, als er den Freund, den er geliebt hatte, also sprechen hörte; doch nur einen Augenblick gab er diesen weichern Empfindungen nach, dann trat er heftig auf den Boden, setzte seinen Hut auf und rief: „So sei der Tag verflucht, an welchem ich dich zum erstenmal sah und Bruder nannte. Geh’, hilf deinem Juden dem armen Land das Fell vollends vom Leib ziehen, schinde dir auch ein Stück herunter und mach’ dich reich. O Lanbek, Lanbek! Aber mein Portepee, ja ein Jahr meines Lebens wollte ich verhandeln, um einem meiner Kameraden die Wache abzukaufen; ich selbst will die Exekution kommandieren, wenn man dich und den Juden zum Galgen führt.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. avancement (frz.) Aufstieg, Fortkommen, Beförderung
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 408–409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_207.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)