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„Das ist Blankenbergs Jagdkleid“, sagte Hedwig leise zu ihrer Schwester.

„Geh’ doch, was weißt du von Blankenbergs Garderobe?“ erwiderte die jüngere, bedeutungsvoll lächelnd.

„Er hat Gustav schon oft in diesem Kleid besucht“, antwortete sie, indem eine dunkle Röte über ihre Wangen flog.

Die Ankunft Gustavs verhinderte seine jüngere Schwester, Hedwig nach ihrer Gewohnheit noch länger zu quälen. Der Vater sah noch ernster aus als vorhin, er hatte sich in seinen Lehnstuhl gesetzt und die strengen Augen auf die Thüre geheftet; bang und ängstlich pochte den Schwestern das Herz, als jetzt die Thüre aufging und ihr Bruder hereintrat. – Nach dem ersten „guten Morgen“ trat für alle drei Partien eine peinliche Pause ein; endlich trat der Sohn bescheiden zum Vater. „Sie haben mich wohl diesen Morgen vermißt, Vater?“ fragte er. „Es ist allerdings ein seltener Fall in unserm Hause, und Sie wurden vielleicht besorgt um mich.“

„Das nicht“, antwortete der Alte sehr ernst; „du bist alt genug, um nicht verloren zu gehen; aber zweierlei ist mir aufgefallen, nämlich, daß man dich nur eine Stunde auf dem Karneval sah, und daß du diese Nacht und ihre Lustbarkeiten so unregelmäßig lang bis morgens neun Uhr ausdehnst; du solltest schon seit einer halben Stunde in deiner Kanzlei sein.“

„Ich bin heute dort entschuldigt“, sagte Gustav lächelnd; „ich habe aber auch seit heute früh ein Uhr so schrecklich geschwärmt und so unordentlich gelebt, daß es kein Wunder ist, wenn man so spät zu Hause kömmt; ratet einmal, ihr Mädchen, wo ich gewesen bin.“

Die Schwestern sahen ihn unwillig an, denn sie befürchteten mit Recht, dieser leichtfertige Ton möchte dem alten Herrn mißfallen. „Wie können wir dies wissen?“ erwiderte Hedwig; „ich habe nie darnach gefragt, wo du dich mit deinen Kameraden umtreibst; doch heute, Bruder, bist du mir ein Rätsel.“

„Und in einem Lustschloß bin ich gewesen“, fuhr der junge Mann fort, „wo weder ihr beiden noch Papa jemals waren; ihr erratet es doch nie – auf der Wache.“

[413] „Auf der Wache!“ riefen die Schwestern entsetzt.

„Das ist mir sehr unangenehm, Gustav“, setzte der Landschaftskonsulent hinzu; „meines Wissens bist du der erste Lanbek, den man auf die Wache setzte.“

„Mir ist es doppelt unangenehm“, antwortete sein Sohn, indem er den Vater fest anblickte, „weil es im Grunde eine Namensverwechslung zu sein scheint; denn meines Wissens bin nicht ich jener Lanbek, der die Szene an dem Tische des Juden aufführte.“

Der Alte sah ihn bleich und betroffen an. „Gehet ins Nebenzimmer, Mädchen!“ rief er, und als sich die Schwestern staunend, aber schnell und gehorsam zurückgezogen hatten, faßte er die Hand seines Sohnes, zog ihn auf einen Stuhl neben sich nieder und fragte hastig, aber mit leiser Stimme: „Was ist das? Woher weißt du? Wer sagte dir davon?“

„Er selbst“, antwortete der Sohn.

„Der Jude?“ fragte der Alte. „Wie ist dies möglich?“

„Er war bei mir auf der Wache; ich sehe, wie Sie staunen, Vater, aber bereiten Sie sich auf noch wunderlichere Dinge vor.“ Der junge Mann hielt es für das beste, seinem Vater soviel als möglich zu entdecken; er erzählte ihm also, wie aufgebracht der Minister auf den Konsulenten und seine Partei sei, wie der Sohn ihm widersprochen, wie der Minister, statt in heftigeren Zorn zu geraten, ihn plötzlich zum Expeditionsrat ernannt habe. Nur Leas erwähnte er mit keiner Silbe, der Kapitän hatte ihm dies geraten, und er beschloß, davon zu schweigen, bis er seine Maßregeln getroffen hätte oder die Entdeckung des unglücklichen Verhältnisses unvermeidlich wäre.

„Ich sehe, was ich sehe“, sprach der Konsulent nach einigem Nachdenken. „Meinst du, wenn er uns nicht gefürchtet hätte, er würde mich geschont und dich dafür ergriffen haben, um mich gleichsam durch seine Gnade zu beschämen? Er hat mich gefürchtet, und er hat alle Ursache dazu. Ich bin ihm zu populär, und auch du wirst ihm nach und nach zu bekannt mit den hiesigen Bürgern, weil du jetzt statt meiner die Armenprozesse führst. Der

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 412–413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_209.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)