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ich will dir nicht länger grollen; wir müssen uns jetzt gegen einen furchtbaren Feind waffnen. Glaubst du, daß er Wort halten wird mit den vierzehn Tagen Frist, die er dir nachrief?“

„Ich glaube und hoffe es“, antwortete der junge Mann. „Um jene Zeit muß sich mehr entscheiden, als nur das Schicksal unseres Hauses“, fuhr der Alte fort; „Römchingen und Süß – oder wir; wer verliert, bezahlt die Zeche. Jetzt gelobe mir aber, Gustav, die Jüdin nie mehr, weder im Garten noch sonstwo aufzusuchen, und unter dieser Bedingung will ich deine Thorheit verzeihen.“

Gustav versprach es mit bebenden Lippen und verließ dann das Zimmer, um seine Bewegung zu verbergen. Noch lange und mit unendlicher Wehmut dachte er dort über das unglückliche Geschöpf nach, dessen Herz ihm gehörte, und das er nicht lieben durfte. Er teilte zwar alle strengen religiösen Ansichten seiner Zeit, aber er schauderte über dem Fluch, der einen heimatlosen Menschenstamm bis ins tausendste Glied verfolgte und jeden mit ins Verderben zu ziehen schien, der sich auch den Edelsten unter ihnen auf die natürlichste Weise näherte. Es fand zwar keine Entschuldigung für sich selbst und seine verbotene Neigung zu einem Mädchen, das nicht auch seinen Glauben teilte, aber er gewann einigen Trost, indem er sein eigenes Schicksal einer höheren Fügung unterordnete.

Sein Vater und die Schwestern unterhielten sich noch lange über ihn und diese Vorfälle, und die Erinnerung an so manche schöne Tugend des jungen Mannes versöhnte nach und nach den Alten, so daß er selbst das Geheimhalten jener Vorschläge des Ministers einigermaßen entschuldigte. Als aber spät abends die beiden Schwestern allein waren, sagte Käthchen: „Wahr ist es doch, Gustav hat zwar gefehlt, aber an seiner Stelle hätte jeder andere auch gefehlt. Ich habe sie einmal am Fenster und einmal im Garten gesehen; so schön und anmutig sah ich in meinem ganzen Leben nichts; was sind alle Gesichter in Stuttgart, was ist selbst die schöne Marie, von der man so viel Wunder macht, gegen dieses herrliche Gesicht! Nein, Hedwig, ich hätte mich ganz in sie verlieben können.“

[431] „Wie magst du nur so thöricht schwatzen!“ erwiderte Hedwig unwillig; „mag sie sein wie sie will, sie ist und bleibt doch nur eine Jüdin.“


11.

Nicht die unglückliche Liebe ihres Bruders allein war es, was in den folgenden Tagen die schönen Töchter des Landschaftskonsulenten Lanbek ängstigte; nein, es war das sonderbare und drückende Verhältnis, das zwischen Vater und Sohn zu herrschen schien, was die vier schönen blauen Augen im stillen so manche Thräne kostete. Man konnte nicht sagen, daß sie sich finster angeblickt, mürrisch gefragt oder kalt geantwortet hätten; aber dennoch sah man ihnen beiden an, daß Gram und Sorgen sie beschäftigen, und die Mädchen wurden immer wieder in ihren Vermutungen über den Grund dieses Grämens irre geleitet, wenn sie zuweilen den alten Mann und seinen Sohn in einer Fensternische beisammen stehen und zutraulicher, aber auch ernster als je zusammen flüstern sahen. Endlich wurden sie sogar für drei Abende in der Woche förmlich aus dem großen Familienzimmer, das Winters allen zum Aufenthalt diente, verwiesen, und, was ihres Wissens nie geschehen war, Papas kleines Bibliothekzimmer wurde ihnen für solche Abende besonders geheizt und ihnen die Erlaubnis gegeben, sich an den trefflichen Juristen und Philosophen zu amüsieren.

Freilich bedachten bei solchem Exil weder Vater noch Sohn, daß man von der Bibliothek im obern Stock in das Studierzimmer, von diesem in das Gastzimmer und von dem Gastzimmer in die sogenannte Rumpelkammer kommen könne, von welcher eine viereckige Öffnung, mit einem kleinen Deckel versehen, in das Wohnzimmer hinabging, um Luft oder Wärme in dieses Gemach zu leiten; sie bedachten auch nicht, daß weibliche Neugierde wohl noch stärkere Schranken durchbrochen haben würde als diese, die zwischen jener Kammer und der Bibliothek lagen. Einige Abende hatte übrigens doch ein noch mächtigeres Gefühl als Neugierde die Mädchen in der Bibliothek zurückgehalten, nämlich Furcht. Hedwig behauptete, schon öfters oben in jener Kammer Fußtritte

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 430–431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_218.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)