Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 220.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

einmal so aufmerksam; was haben sie denn Besonderes gesprochen?“

„Ich weiß nicht alles, ich kann nicht alles sagen“, erwiderte Käthchen nachdenkend; „mir ist’s, als hätte mir alles geträumt. Höre – aber schweig’! Es könnte uns alle unglücklich machen. Das sind gefährliche Menschen in Vaters Zimmer unten. Mir graut, wenn ich daran denke, was daraus entstehen kann.“

„So sprich doch, einfältiges Kind! Ich bin zwei Jahre älter als du, und du sollst keine Geheimnisse vor mir haben.“

„Denke dir“, fuhr Käthchen mit leiser Stimme fort, „der Süß will uns katholisch machen und die Landschaft umstürzen; da verlöre der Vater und alle andern verlören ihre Stellen!“

„Katholisch!“ rief Hedwig mit Entsetzen, „da müßten wir ja Nonnen werden, wenn wir ledig blieben! Nein, das ist abscheulich!“

„Ach, warum nicht gar“, erwiderte Käthchen, lächelnd über den Jammer ihrer Schwester, „da müßte es viele Nonnen geben, wenn alle, die keine Männer bekommen, ins Kloster gingen; aber sei ruhig, es kommt nicht so weit. In drei Tagen, sagte Röder, werde der Herzog verreisen, und während er in Philippsburg ist, wollen die Männer da unten den Juden und alle seine Gehülfen im Namen der Landschaft gefangen nehmen und dann dem Herzog beweisen, wie schlecht seine Minister waren.“

„Ach Gott, ach Gott! das geht nicht gut“, sagte Hedwig weinend; alles werden sie verlieren, denn der Herzog traut allen eher als denen von der Landschaft; ich weiß ja, was mir einmal die Obristjägermeisterin über den Vater sagte. Du wirst sehen, es geht unglücklich!“

„Und wenn auch“, antwortete[WS 1] Käthchen, „so sind wir die Töchter eines Mannes, der, was er thut, zum besten seines Vaterlandes thut. Das kann uns trösten.“ Das mutige Mädchen holte aus dem Schranke eine mit vielen schönen Kupfern geschmückte Bibel. Sie gab der weinenden Schwester das Neue Testament, um sich an den Kupfern und Reimsprüchen zu zerstreuen. Sie selbst schlug sich das Alte Testament auf. Sie verbarg ihre eigene Besorgnis um ihren Vater unter einem Liedchen, das sie [435] leise vor sich hinsang, während ihre schönen Finger emsig die vergelbten Blätter von einem Bilde zum andern durcheilten.


12.

Es gibt im Leben einzelner Staaten Momente, wo der aufmerksame Beschauer noch nach einem Jahrhundert sagen wird, hier, gerade hier mußte eine Krise eintreten; ein oder zwei Jahre nachher wären dieselben Umstände nicht mehr von derselben Wirkung gewesen. Es ist dann dem endlichen Geist nicht mehr möglich, eine solche Fügung der Dinge sich hinweg zu denken und aus der unendlichen Reihe von möglichen Folgen diejenigen aneinander zu knüpfen, die ein ebenso notwendig verkettetes Ganze bilden, als ein verflossenes Jahrhundert mit allen seinen historischen Wahrheiten. Hier zeigte sich der Finger Gottes, pflegt man zu sagen, wenn man auf solche wichtige Augenblicke im Leben eines Staates stößt. Es hat aber zu allen Zeiten Männer gegeben, die, mochte ihr eigener Genius, mochte das Studium der Geschichte sie leiten, solche Momente geahnet, berechnet haben, und sie wirkten dann am überraschendsten, wenn sie sich nicht begnügten, solche Krisen vorhergesehen zu haben, sondern wenn sie Mut genug besaßen, zu rechter Zeit selbst einzuschreiten, Kraft genug, um eine Rolle durchzuführen. Die Geschichte hat längst über die kurze Regierung der Minister Karl Alexanders entschieden. Sie flucht keinem Sterblichen, sonst müßte sie die Thränen und Seufzer Württembergs in schwere Worte gegen die Urheber seines Unglücks im Jahre 1737 verwandeln; aber sie gedenkt mit Liebe einiger Männer, die sich nicht von dem Strome der allgemeinen Verderbnis hinreißen ließen, die ahneten, es müsse anders kommen, die vor dem Gedanken nicht zitterten, eine Änderung der Dinge herbeizuführen, und die auch dann mit Ruhe und Gelassenheit die Sache ihres Landes führten, als ein Höherer es übernommen hatte, einen unerwartet schnellen Wechsel der Dinge herbeizuführen, indem er zwei feurige Augen schloß und ein tapferes Herz stille stehen hieß.

Wer sollte es diesem heiteren Stuttgart und seinen friedlichen Straßen ansehen, daß es einst der Schauplatz so drückender Besorgnisse

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: anwortete
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 434–435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_220.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)