Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 252.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Stammprovinzen fiel ihm und uns allen die Haltung und das Ansehen der jungen Leute auf. Das ganze Land schien von Beurlaubten angefüllt, und doch waren es immer nur die jungen Männer, die hier geboren und erzogen waren. Die Haare waren ihnen militärisch verschnitten, ihre Haltung war aufgerichtet, geregelt; sie standen selten wie faule, müßige Gaffer da, wenn der Kaiser und sein Gefolge vorüberzog. Nein, sie machten Front, wenn sie ihn sahen, die Füße standen eingewurzelt, der linke Arm straff angezogen und an die Seite gedrückt, das Auge hatte die regelrechte Richtung, und die rechte Hand machte ihren Soldatengruß. Es waren dies keine Bauerbursche mehr, sondern Soldaten, und der Kaiser wußte wenigstens, daß nicht die ganze preußische Armee mit ihm ziehe.“

„Er ließ einen gefährlichen, beleidigten Feind in seinem Rücken“, bemerkte Rantow.

„Ein gefährlicher Feind, Herr von Rantow, ist etwa eine beleidigte Schlange, aber nicht eine Armee, nicht Männer von Ehrgefühl. Das preußische Heer hatte sich mit der großen Armee vereinigt, und sobald dies geschehen war, stand sie unter dem Oberbefehl des ersten Kriegers dieser Armee; in dieser Eigenschaft hatten wir weder von ihnen noch von den Zurückgebliebenen etwas zu fürchten; die Untergebenen band ihr Eid an ihre Fahnen, und die Generale, die Repräsentanten dieser Fahnen, band ihre Ehre. Wenn Sie die Sache aus diesem natürlichen Gesichtspunkt betrachten wollen, so werden Sie am Betragen des Kaisers bei Beginn jenes unglücklichen Feldzuges nichts Übereiltes oder Unkluges finden.“

„Das preußische Heer, das gezwungen mit ausrückte“, erwiderte der junge Mann, „gehörte nicht diesem Kaiser der Franzosen, sondern seinem rechtmäßigen König, und in demselben Augenblick, als dieser sie ihrer Pflichten gegen jenen ersten Krieger entband –“

„Konnten sie gegen uns selbst die Waffen richten“, fiel der General ein; „da haben Sie vollkommen recht; sie konnten ihre Karrees bilden, uns den Gehorsam weigern und im Fall des Zwanges Feuer auf unsere Kolonnen geben, sie konnten sich im [499] Angesicht der Armee mit den Russen vereinigen, sie durften dies alles thun –“

„Nun ja – das war es ja eben, was ich meinte –“

„Nein, Herr! Das war es nicht“, fuhr jener eifrig fort. „Nur erst, verstehen Sie wohl, nur dann erst, wann ihr König sie ihres Eides entband, konnten sie den Gehorsam verweigern, sie mußten es sogar, auch auf die Gefahr hin, zu Grunde zu gehen. Solange dies nicht der Fall war, handelten sie, wenn sie feindlich auftraten, als Verräter an ihrer Ehre und sogar an ihrem König; denn die Ehre des Königs, der die Befehlshaber gewählt hatte, bürgte gleichsam für ihr Betragen.“

„Nun – wenn ich auch dies von den Befehlshabern zugebe“, erwiderte Rantow, „so hat wenigstens die Armee immerhin ihre Pflicht gethan.“

„In diesem Fall nimmermehr!“ rief der General: „Wenn der Chef keinen Befehl seines Herrn vorweisen kann, um seine Schritte zu entschuldigen, und dennoch seine Schuldigkeit nicht thut oder sogar zum Verräter wird, und zum Verräter nicht für sich allein, sondern mit einem ganzen Korps, so hat jeder Offizier, jeder Soldat hat das Recht, ihn vor der Front vom Pferd zu schießen!“

„Ei, Vater! –“ rief der junge Willi.

„Mein Gott, dies denn doch nicht“, rief zugleich der Fremde; „einen General en chef vom Pferd zu schießen!“

„Und wenn man es unterlassen hat“, fuhr jener mit blitzenden Augen fort, „so hat man seine Pflicht versäumt. Aber ich kenne noch recht wohl jene schändliche Zeit und die Motive, die damals die Handlungen der Menschen lenkten; Wölfe und Tiger waren sie geworden, die menschliche Natur hatte man ausgezogen, Treu’, Ehre, Glauben, alles verloren, und für Heroismus galt damals, was sonst für eine Schandthat gegolten hätte!“

„Nun, etwas Herrliches und Erhabenes, was sich damals offenbarte, werden Sie doch nicht leugnen können“, sprach der Märker, „der allgemeine Enthusiasmus, womit das ganze Volk aufstand, war doch wirklich erhaben, ergreifend!“

„Das ganze Volk? – aufstand?“ rief der General bitter

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 498–499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_252.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)