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„Und wer ist denn dieser Eine, den Sie so feierlich ausnehmen?“ fragte Albert.

„Siehe, das ist eine wunderliche Geschichte“, fuhr der Oheim fort; „doch ich will sie dir erzählen, es ist ein schönes Stück. Ich machte im Jahr 1800 eine Reise nach Italien mit meiner seligen Frau. Ehe wir uns dessen versahen, brach der Krieg aus, und da wir vernahmen, daß Moreau[1] gegen Deutschland ziehe, beschloß ich, meine Frau bei einer befreundeten Familie in Rom zurückzulassen und allein, um desto schneller reisen zu können, nach Schwaben heimzukehren. Ich wählte, teils weil ich dort am wenigsten auf Franzosen zu stoßen hoffte, teils weil einer meiner Vettern die Besatzung in der kleinen Festung Bard[2] kommandierte, teils der Neuheit der Gegend wegen die Straße über den Großen Bernhard, der bald nachher durch den Übergang des Konsuls Buonaparte so berühmt wurde. Dort am Fuß des Berges, auf der Schweizer Seite, überfielen mich fünf zerlumpte Kerls von der französischen Armee, die ich hier freilich nicht vermuten konnte. Ich zeigte ihnen meinen Paß, aber es half nichts; sie rissen mich und meinen Reitknecht, den alten Hans, den du noch hier siehst, vom Pferd, zogen uns Rock und Stiefeln aus, nahmen mir Uhr und Börse, und eben wollten sie auch meinen Mantelsack untersuchen, als eine schreckliche Stimme hinter uns Halt gebot.

Die Räuber sahen sich um und ließen, wie vom Donner gerührt, die Arme sinken, denn es war ein französischer Offizier, der hinter uns zu Pferd hielt, und sie hielten, man muß selbst dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen, strenge Mannszucht. ‚Wer sind Sie, mein Herr?‘ fragte er, nachdem er abgestiegen war. Ich erzählte ihm kurz meine Verhältnisse und den Zweck meiner Reise; er nahm meinen Paß, sah ihn durch und fragte mich, ob ich solchen den Soldaten gezeigt habe. Als ich es bejahte, wandte er sich an die Bursche, die noch immer kerzengerade und verlegen dastanden: ‚Seid ihr Soldaten? Seid ihr Franzosen?‘ [515] rief er zürnend und sah, trotz seinem schlechten Oberrock, sehr vornehm aus; ‚auf der Stelle kleidet ihr diesen Herrn und seinen Diener an, ordnet sein Gepäck und geht dann, wohin ihr beordert seid.‘ Noch nie bin ich so schnell bedient worden; ein junger Kerl wollte mir gegen meinen Willen die Stiefeln anziehen, und bat mich mit Thränen im Auge, es zu erlauben. Solchen Gehorsam habe ich nie in der Reichsarmee gesehen. Ich sagte es auch dem Offizier, der sich, nachdem wir fertig waren, zu mir ins Gras setzte und für seine Landsleute Vergebung und Entschuldigung erbat; ich sagte ihm, daß dieser ganze Vorfall durch jenen schönen Anblick von Disziplin aufgewogen werde. Ehe ich mich dessen versah, waren wir in ein tiefes Gespräch über die Zeitereignisse und namentlich über das Schicksal des Adels verwickelt. Ich stritt lebhaft für unsern alten Reichsadel, aber kurz und bestimmt und so artig als möglich wußte er meine besten Gründe zu widerlegen. Ich merkte wohl aus allem, und er gestand es auch offen, daß er ein ci-devant[WS 1] sei. Er gestand auch zu, daß eine Republik in neueren Zeiten etwas Schwieriges, beinahe Unnatürliches sei, daß Institute wie der Adel nützlich, ja gewissermaßen notwendig seien, behauptete aber, daß der Adel überall von neuem geboren werden und nur aus kriegerischem Verdienst und Ruhm hervorgehen müsse.“

„Wie?“ fiel ihm Rantow ins Wort. „So allgemein dachte man schon damals in jener Armee an das, was nachher jener sogenannte Kaiser wirklich ausführte? Das ist wunderbar!“ – „Auch mir sind nachmals“, erzählte der alte Thierberg, „da Napoleon die Ehrenlegion und Dotationen schöpfte[3], oft die Worte meines guten Kapitäns eingefallen. Diesen gewann ich in einer Stunde, die wir zusammen sprachen, so lieb, als wäre er kein Franzose, als wären wir langjährige Freunde. Endlich mahnte ihn die Feldmusik eines ferne heranziehenden Regiments zum Aufbruch. Ich schenkte ihm meine silberne Feldflasche, die er erst nach langem Streit und endlich lachend annahm; mir gab er dafür eine kleine Ausgabe des Tacitus und eine von den bunten


  1. Jean Victor Moreau (1761–1813), berühmter französischer General, hatte 1800 den Oberbefehl über die Rheinarmee und schlug am 3. Dezember desselben Jahres den Erzherzog Johann von Österreich bei Hohenlinden. 1804 wurde er als Gegner Napoleons aus Frankreich verbannt.
  2. In der Provinz Turin.
  3. Schöpfte für schuf, heute veraltete, noch im Mittelhochdeutschen gebräuchliche Form von schepfen, d. h. schaffen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mit ci-devant bezeichnete man nach der Revolution von 1789 in Frankreich Personen aus dem ehemaligen Adel des Ancien Régime.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 514–515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_260.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)