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sich feindlich gegenüberstehen. So schien es auch der alte Thierberg nicht über sich vermögen zu können, sein gewohntes: „Ah! schön! schön! Freut mich – Platz genommen!“ diesmal mit einem kälteren und förmlicheren Gruß zu vertauschen, und die fünfhundertjährige Gastfreundschaft dieser Burg schien die unwillkommenen Gäste in ihre schützenden Arme zu schließen. Ein Blick von Anna hatte dem jungen Willi gesagt, was hier vorgegangen sei; er fand sie blaß, ihre Stimme nicht so fest wie sonst, es lag Kummer um den holden Mund, und ihre Augen schienen weicher geworden zu sein. Er pries im stillen ihren richtigen Takt, daß sie mehr zu dem General sprach als zu ihm, denn er hätte, von diesem Anblick ergriffen, nicht Fassung genug gehabt, Gleichgültiges mit ihr zu reden. Rantow, der einen ganz andern Auftritt erwartet hatte, wunderte sich, daß auch in diesem „ehrlichen Schwaben“, wo ihm sonst alles so offen und ehrlich deuchte, vier Menschen, die sich so nahe standen, ein so falsches Spiel unter sich spielen könnten, ihre Gedanken, ihre Leidenschaften unter einer so ruhigen Hülle zu verdecken wüßten. Er sah staunend bald den jungen Willi und den alten Thierberg an, die ganz ruhig und abgemessen sich über die Ereignisse der letzten Wochen besprachen; bald hörte er auf das Gespräch zwischen dem General und der Geliebten seines Sohnes, die dasselbe Thema, nur mit Veränderungen, abhandelten, wobei übrigens Anna eine solche Ruhe an den Tag legte, daß sie nie hastig fragte, von nichts mehr, als schicklich, ergriffen war. Der General wandte sich im Gespräch und ging mit ihr langsam im Saal auf und ab, er stellte sich endlich, wie zufällig, in einen tiefen Fensterbogen, und Albert entging es nicht, daß er sich dort schnell zu dem schönen Mädchen herabbückte, ihr etwas zuflüsterte, was eine tiefe Röte auf ihre Wangen jagte; sie schien erschrocken, sie faßte sein Hand, sie sprach leise, aber heftig zu ihm, aber er – lächelte, schien sie zu beruhigen, zu trösten, und so stolz und zuversichtlich war seine Stirne, waren seine Züge, als müßte er in diesem Augenblick seine Division ins Feuer führen, um den schwankenden Sieg zu entscheiden.

Der Gast aus der Mark ahnete, daß dort in jenem Fensterbogen ein Entschluß gefaßt oder mitgeteilt worden sei, der auf [535] Annas Schicksal sich beziehe, und das Herz pochte ihm, wenn er an den eisernen Trotz seines Oheims dachte. Die Diener hatten indessen Wein herbeigebracht, man setzte sich in eines der weiten Fenster, und wenn nur die Gemüter der fünf Menschen, die um den kleinen Tisch saßen, weniger befangen waren, der schöne Tag, der Anblick des herrlichen Thales, das vor ihnen lag, hätte sie zu immer höherer Freude stimmen müssen.

Der General, dem es peinlich sein mochte, daß das Gespräch nach und nach zu stocken anfing, bat Anna um ein Lied, und ein Wink ihres Vaters bekräftigte diese Bitte. Man brachte ihre Guitarre herbei, der junge Willi stimmte die Saiten, aber waren es die Worte des Generals, war es der Anblick ihres Vaters, war es die lang ersehnte Nähe des Geliebten, was sie verwirrte, sie errötete und gestand, daß sie in diesem Augenblick kein passendes Lied zu singen wüßte. Man schlug vor, man verwarf, bis Rantow beifiel, wie man einst in Berlin eine berühmte schöne Sängerin von einer ähnlichen Verlegenheit befreite; er schnitt kleine Zettel und ließ jeden ein Lied aufschreiben; dann faltete er die Papiere geschickt und zierlich zusammen, schüttelte sie als Lose durcheinander und ließ die Sängerin eines wählen.

Sie wählte, sie öffnete das Los und errötete sichtbar, indem sie den General besorgt anblickte. „Das hat niemand anders als Sie geschrieben“, sagte sie. „Warum denn gerade dieses Lied? Es ist nicht immer politisch, ein politisches Lied zu singen!“

„Wenn es nun aber mein Lieblingslied ist?“ erwiderte Willi. „Ich appelliere an Ihren Vater; stand nicht die Wahl durchaus frei?“

„Gewiß!“ antwortete der Alte, „du singst Anna; und wenn das Lied Politik enthalten sollte – nun, erdichtete Politik kann man ja immer noch ertragen.“

Sie nickte schweigend Gehorsam zu, aber von jenem Augenblick an, wo sie mit einem kurzen, aber kräftigen Vorspiel den Gesang anhob, schien auf ihren lieblichen Zügen eine Art von Begeisterung aufzugehen; eine zarte Röte spielte auf ihren Wangen, ihre Augen glänzten, und um den schönen Mund, der die Töne so voll und rund hervorströmen ließ, spielte anfangs ein

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 534–535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_270.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)