Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 149.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Sterben? sagen Sie, wer soll sterben?“

„Nun, das ist kein Geheimnis“, erwiderte der Regisseur; „so oft Othello gegeben wird, muß acht Tage nachher jemand aus der fürstlichen Familie sterben.“

Die Freunde fuhren erschrocken von ihren Sitzen auf, denn der prophetische, richtende Ton, womit der Alte dies sagte, hatte etwas Greuliches an sich; doch sogleich setzten sie sich wieder und brachen über ihren eigenen Schrecken in ein lustiges Gelächter aus, das übrigens den Sänger nicht aus der Fassung brachte.

„Sie lachen?“ sprach er; „ich muß es mir gefallen lassen; wenn es Sie übrigens nicht geniert, will ich Sie die Theaterchronik inspizieren lassen, die seit hundertundzwanzig Jahren der jedesmalige Souffleur schreibt.“

„Die Theaterchronik her, Alter, lassen Sie uns inspizieren“, rief der Graf, dem die Sache Spaß zu machen schien, und der Regisseur rutschte mit außerordentlicher Schnelligkeit in seine Kammer und brachte einen in Leder und Messing gebundenen Folianten hervor.

Er setzte eine große in Bein gefaßte Brille auf und blätterte in der Chronik. „Bemerken Sie“, sagte er, „wegen des Nachfolgenden, erstlich, hier steht: ‚Anno 1740 den 8. Dezember ist die Actrice Charlotte Fandauerin in hiesigem Theater erstickt worden. Man führte das Trauerspiel Othello, der Mohr von Venedig, von Shakespeare auf.‘“

„Wie?“ unterbrach ihn der Major, „Anno 1740 sollte man hier Shakespeares ‚Othello‘ gegeben haben, und doch war es, wenn ich nicht irre, Schröder[1], der zuerst und viel später das erste Shakespearesche Stück in Deutschland aufführen ließ?“

„Bitte um Vergebung“, erwiderte der Alte. „Der Herzog sah auf einer Reise durch England in London diesen ‚Othello‘ geben, ließ ihn, weil er ihm außerordentlich gefiel, übersetzen und nachher hier öfter aufführen. Meine Chronik fährt aber also fort:

[297] „‚Obgedachte Charlotte Fandauerin hat die Desdemona gegeben und ist durch die Bettdecke, womit sie in dem Stücke selbst getötet werden soll, elendiglich umgekommen. Gott sei ihrer armen Seele gnädig!‘ – Diesen Mord erzählt man sich hier folgendermaßen: die Fandauer soll sehr schön gewesen sein; bei Hof ging es damals unter dem Herzog Nepomuk sehr lasziv zu; die Fandauer wurde des Herzogs Geliebte. Sie aber soll sich nicht blindlings und unvorsichtig ihm übergeben haben; sie war abgeschreckt durch das Beispiel so vieler, die er nach einigen Monaten oder Jährchen verstieß und elendiglich herumlaufen ließ. Sie soll also ein schreckliches Bündnis mit ihm gemacht und erst, nachdem er es beschworen, sich ihm ergeben haben. Aber wie bei den andern, so war es auch bei der Fandauer. Er hatte sie bald satt und wollte sie auf gelinde Art entfernen. Sie aber drohte ihm, das Bündnis, das er mit ihr gemacht, drucken und in ganz Europa verbreiten zu lassen, sie zeigte ihm auch, daß sie diese Schrift schon in vielen fremden Städten niedergelegt habe, wo sie auf ihren ersten Wink verbreitet würde.

Der Herzog war ein grausamer Herr, und sein Zorn kannte keine Gränzen. Er soll ihr auf verschiedenen Wegen durch Gift haben beikommen wollen, aber sie aß nichts, als was sie selbst gekocht hatte. Er gab daher einem Schauspieler eine große Summe Geld und ließ den ‚Othello‘ aufführen. Sie werden sich erinnern, daß in dem Shakespeareschen Trauerspiel die Desdemona von dem Mohren im Bette erstickt wird. Der Akteur machte seine Sache nur allzu natürlich, denn die Fandauerin ist nicht mehr erwacht.“

Der Graf schauderte; „und dies soll wahr sein?“ rief er aus.

„Fragen Sie von älteren Personen in der Stadt wen Sie wollen, Sie werden es überall so erzählen hören. Es wurde nachher von den Gerichten eine Untersuchung gegen den Mörder anhängig gemacht, aber der Herzog schlug sie nieder, nahm den Akteur vom Theater in seine Dienste und erklärte, die Fandauerin habe durch Zufall der Schlag gerührt. Aber acht Tage darauf starb ihm sein einziges Söhnlein, ein Prinz von zwölf Jahren.“

„Zufall!“ sagte der Major.


  1. Der Schauspieler und Dramaturg Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), erst Mitglied der Truppe seines Stiefvaters Konrad Ernst Ackermann, nach dessen Tode seit 1771 Direktor der Hamburger Bühne, hat sich durch gediegene Bearbeitungen der Shakespeareschen Trauerspiele um deren Einführung in Deutschland verdient gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)