Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 167.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

der Bianetti muß ich genauer hören. Ihr erlaubt es doch, Bolnau?“

„Wertester, geniert Euch ganz und gar nicht“, entgegnete jener; „ich weiß, Ihr speiset um zwölf Uhr, lasset doch die Suppe nicht kalt werden. Überdies könnte Lange vor Euch nicht mit der Sprache recht heraus wollen; kommt lieber nach Tisch ins Kaffeehaus, dort sollet Ihr alles hören. – Machet übrigens, daß Ihr fortkommt, dort biegt er schon um die Ecke.“


„Ich halte die Wunde nicht für absolut tödlich“, sprach der Medizinalrat Lange nach den ersten Begrüßungen; „der Stoß scheint nicht sicher geführt worden zu sein. Sie ist schon wieder ganz bei Besinnung und, die Schwäche abgerechnet, die der große Blutverlust verursachte, ist in diesem Augenblick wenigstens keine Spur von Gefahr.“

„Das freut mich“, erwiderte der Kommerzienrat und schob vertraulich seinen Arm in den des Doktors; „ich begleite Ihn noch die paar Straßen bis ans Schloß; aber sag’ Er mir doch ums Himmels willen etwas Näheres über diese Geschichte; man kann ja gar nicht ins klare kommen, wie sich alles zugetragen.“

„Ich kann Ihm schwören“, antwortete jener, „es liegt ein furchtbares Dunkel über der Sache. Ich war kaum eingeschlafen, so weckt mich mein Johann mit der Nachricht, man verlange mich zu einem sehr gefährlichen Kranken. Ich warf mich in die Kleider, renne hinaus, im Vorsaal steht ein Mädchen, bleich und zitternd, und flüstert so leise, daß ich es kaum hörte, ich solle meinen Verbandzeug zu mir stecken. Schon das fällt mir auf; ich werfe mich in den Wagen, lasse die bleiche Mamsell auf den Bock zu Johann sitzen, daß sie den Weg zeige, und fort geht es bis in den Lindenhof. Ich steige vor einem kleinen Hause ab und frage die Mamsell, wer denn der Kranke sei?“

„Ich kann mir denken, wie Er staunte –“

„Wie ich staunte, als ich hörte, es ist Signora Bianetti! Ich kannte sie zwar nur vom Theater, hatte sie sonst kaum zwei-, dreimal gesehen, aber die geheimnisvolle Art, wie ich zu ihr gerufen wurde, das Verbandzeug, das ich zu mir stecken sollte, ich gestehe Ihm, ich war sehr gespannt, was der Sängerin zugestoßen [333] sein sollte. Es ging eine kurze Treppe hinan, eine schmale Hausflur entlang. Das Mädchen ging voran, ließ mich einige Augenblicke im Dunkeln warten und kam mir dann schluchzend und noch bleicher als zuvor entgegen. ‚Treten Sie ein, Herr Doktor‘, sagte sie, ‚ach! Sie werden zu spät kommen, sie wird’s nicht überleben.‘ Ich trat ein, es war ein schrecklicher Anblick.“

Der Medizinalrat schwieg, sinnend und düster, es schien sich ein Bild vor seine Seele zu drängen, das er umsonst abzuwehren suchte. „Nun, was sah Er?“ rief sein Begleiter, ungeduldig über diese Unterbrechung; „Er wird mich doch nicht so zwischen Türe und Angel stehen lassen wollen?“

„Es ist mir manches in meinem Leben begegnet“, fuhr der Doktor fort, nachdem er sich gesammelt hatte, „manches, wovor mir graute, manches, das mich erschreckte, aber nichts, was mir das Herz so in der Brust umdrehte wie dieser Anblick. In einem matt erleuchteten Zimmer lag ein bleiches, junges Weib auf dem Sofa, vor ihr kniete eine alte Magd und preßte ihr ein Tuch auf das Herz. Ich trat näher; weiß und starr wie eine Büste lag der Kopf der Sterbenden zurück, die schwarzen, herabfallenden Haare, die dunkeln Braunen und Wimpern der geschlossenen Augen bildeten einen schrecklichen Kontrast mit der glänzenden Blässe der Stirn, des Gesichtes, des schönen Halses. Die weißen, faltenreichen Gewänder, die wohl zu ihrer Maske gehört hatten, waren von Blut überströmt, Blut auf dem Fußboden, und von dem Herzen schien der rote Strahl auszugehen – dies alles stellte sich mir in einem Augenblick dar, es war Bianetti, die Sängerin.“

„O Gott, wie mich das rührt!“ sprach der Kommerzienrat bewegt und zog ein langes, seidenes Tuch hervor, um sich die Augen zu wischen. „Geradeso lag sie noch letzten Sonntag vor acht Tagen in der Oper ‚Othello‘ da, als sie die Desdemona spielte. Schon damals war der Affekt so grausam wahr und wahrhaft greulich, daß man meinte, der Mohr habe sie in der Tat erdolcht[1]; und jetzt ist es wirklich so weit mit ihr gekommen! Wie mich das rührt!“

„Habe ich Ihm nicht jede übermäßige Rührung verboten?“


  1. Auch hier wieder derselbe Flüchtigkeitsfehler Hauffs wie in der Novelle „Othello“ (oben, S. 325).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 332–333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_167.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)