Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 181.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

seinem Anblick Marius auf den Trümmern von Karthago[1] eingefallen.

Der junge Mann schien sich seiner von gestern zu erinnern und empfing ihn beinahe finster; doch war er so artig, einen Stoß Notenblätter mit einem Ruck von einem Sessel auf den Boden zu werfen, um seinem Besuch Platz anzubieten; er selbst stieg mit großen Schritten im Zimmer umher, und sein fliegender Schlafrock nahm geschickt den Staub von Tischen und Büchern.

Er ließ den Medizinalrat nicht zum Wort gelangen, er überschrie ihn. „Sie kommen von ihr?“ rief er. „Schämen sich Ihre grauen Haare nicht, der Kuppler eines solchen Weibes zu werden? Ich will nichts mehr hören; ich habe mein Glück zu Grabe getragen, Sie sehen, ich traure um meine Seligkeit; ich habe meinen schwarzen Schlafrock an, schon dies sollte Ihnen, wenn Sie sich entfernt auf Psychologie verstehen, ein Zeichen sein, daß ich jene Person für mich als gestorben ansehe. O Giuseppa, Giuseppa!“

„Wertester Herr Kapellmeister“, unterbrach ihn der Doktor, „so hören Sie mich nur an –“

„Hören? Was wissen Sie von Hören? Lauschen Sie, wenn Sie von Hören spechen; ich will prüfen, ob du Gehör hast, Alter! Siehe, das ist das Weib“, fuhr er fort, indem er den Flügel aufriß und einiges spielte, das übrigens dem Doktor, der kein großer Musikkenner war, vorkam wie andere Musik auch; „hören Sie dieses Weiche, Schmelzende, Anschmiegende? Aber bemerken Sie nicht in diesen Übergängen das unzuverlässige, flüchtige, charakterlose Wesen dieser Geschöpfe? Aber hören Sie weiter“, sprach er mit erhobener Simme und glänzendem Auge, indem er die weiten Ärmel des Trauerschlafrockes zurückschüttelte, „wo Männer wirken, ist Kraft und Wahrheit; hier kann [361] nichts Unreines aufkommen, es sind heilige, göttliche Laute!“ Er hämmerte mit großer Macht auf den Tasten umher, aber dem Doktor wollte es wieder bedünken, als seie dies nur ganz gewöhnliche Musik.

„Sie haben da eine sonderbare Charakteristik der Menschen“, sagte er; „da wir doch einmal so weit sind, dürfte ich Sie nicht bitten, Verehrter, daß Sie mir doch einmal einen Medizinalrat auf dem Klavier vorstellten?“

Der Musiker sah ihn verächtlich an; „wie magst du nur mit einem schlechten, quikenden Cis hereinfahren, Erdenwurm, wenn ich den herrlichen, strahlenwerfenden Akkord anschlage!“

Die Antwort des Doktors wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen; eine kleine verwachsene Figur trat herein, machte eine Referenz und sprach: „Der kranke Herr auf Nr. 53 läßt den Herrn Kapellmeister höflichst ersuchen, doch nicht so gar erschrecklich zu hantieren und zu haselieren[2], was maßen derselbe von gar schwacher Konstitution und dem zeitlichen Hinscheiden nahe ist.“

„Ich lasse dem Herrn meinen gehorsamsten Respekt vermelden“, erwiderte ihm der junge Mann, „und meinetwegen könne er abfahren, wann es ihm gefällig. Es graut mir ohnedies alle Nacht vor seinem Jammern und Stöhnen, und das Greulichste sind mir seine gottlosen Flüche und sein tolles Lachen. Meint vielleicht der Franzose, er seie allein Herr im Hôtel de Portugal? Geniert er mich, so geniere ich ihn wieder.“

„Aber verzeihen Euer Hochedelgeboren“, sagte der verwachsene Mensch, „er treibt’s nicht mehr lange, wollten Sie ihm nicht die letzten Augenblicke –“

„Ist er so gar krank, der Herr?“ fragte der Medizinalrat teilnehmend; „was fehlt ihm, wer behandelt ihn? wer ist er?“

„Wer er ist, weiß ich gerade nicht; ich bin der Lohnlakai; ich denke, er nennt sich Lorier und ist aus Frankreich; vorgestern war er noch wohlauf, aber etwas melancholisch, denn er ging gar nicht aus, hatte auch keine Lust, die Merkwürdigkeiten dieser Stadt zu sehen, aber am andern Morgen fand ich ihn schwer


  1. Der römische Feldherr und Konsul Gajus Marius (155–86 v. Chr.), der nach dem siegreichen Auftreten seines Rivalen Cornelius Sulla die Gunst des römischen Volkes verloren hatte und unstet umherirren mußte, kam als Geächteter an die Küste Afrikas; als ihm der Statthalter das Betreten des Ufers verbieten ließ, soll er dem Boten mit wildem Blicke zugerufen haben: „Melde dem Prätor, du habest den Gajus Marius als Flüchtling auf den Trümmern Karthagos sitzen sehen.“ – „Die ehemalige Weltstadt in ihren Ruinen und der alte Konsular in seinem Elend waren großartige Beispiele des wechselnden Erdenglücks“, sagt Georg Weber in seiner Weltgeschichte.
  2. Lärm machen, sich toll gebärden.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 360–361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_181.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)