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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

hatte ihm nemlich gestanden, daß er von dem Vorfall mit der jungen Bianetti Gelegenheit genommen, das ruchlose Leben des Chevalier de Planto höheren Orts zu berühren. Er hatte nicht versäumt, hauptsächlich den Umstand, daß jenes arme Kind eigentlich verkauft wurde, ins rechte Licht zu setzen. Jenes berüchtigte Haus wurde kurze Zeit darauf von der Polizei aufgehoben, und der Baron schien dies hauptsächlich den Schritten, die er in der Sache getan, zuzuschreiben. Auch er hatte von dem Tod des Chevaliers gehört, glaubte aber mit dem Polizeidirektor, daß dies nur ein Kunstgriff gewesen sei, um sein Gewerbe sicherer fortzusetzen, denn beide hegten keinen Zweifel, jener Mordversuch an der Sängerin könne nur von diesem schrecklichen Menschen herrühren. Wie schwer war es aber, der Spur dieses Mörders zu folgen; die Fremden, die sich damals zu B. aufhielten, waren, wie der Direktor versicherte, alle unverdächtig; nur zwei Umstände konnten zu Gewisserem führen; das Schnupftuch, welches sich im Zimmer der Bianetti gefunden hatte, könnte, wenn man irgendwo ein ähnliches sah, zur Entdeckung leiten; es war daher die genaueste Beschreibung davon in den Händen aller jener Nähterinnen und Waschfrauen, welche die Garderobe der Fremden in B. zu besorgen pflegten. Sodann glaubte der Direktor aus psychologischen Gründen annehmen zu können, daß ein zweiter Versuch auf das Leben der Sängerin bald folgen würde, im Falle sich nämlich der Mörder noch in der Nähe aufhielte.

Sobald daher die Sängerin wieder bei Kräften war, begleitete der Direktor der Polizei den Doktor Lange, so oft er sie besuchte; es wurden dort manche Maßregeln besprochen, manche schienen gut, aber nicht wohl auszuführen, manche wurde geradehin verworfen. Giuseppa selbst kam endlich auf einen Gedanken, der den beiden Männern sehr einleuchtete. „Der Doktor“, sagte sie, „hat mir erlaubt, in der nächsten Woche wieder auszugehen; wenn er nichts dagegen hat, würde ich auf der letzten Redoute des Karnevals zuerst wieder unter den Leuten erscheinen; es hat etwas Anziehendes für mich, mich dort, wo mein Unglück eigentlich anfing, zum erstenmal zu zeigen. Wenn wir dafür sorgen, daß dies in B. hinlänglich bekannt wird, und wenn der Chevalier noch hier ist, so bin ich wie von meinem Leben überzeugt, [365] daß er unter irgend einer Maske sich wieder in meine Nähe dringt. Er wird sich zwar hüten, zu sprechen, er wird durch nichts sich verraten, aber seine Anschläge auf mein Leben wird er nicht ruhen lassen, und ich will ihn aus Tausenden erkennen. Seine Größe, seine Gestalt, vor allem seine Augen, werden mir ihn kenntlich machen. Was meinen Sie, meine Herren?“

Der Plan schien nicht übel. „Ich wollte wetten“, sagte der Direktor, „wenn er erfährt, Sie kommen auf diesen Ball, so bleibt er nicht aus; sei es auch nur, um den Gegenstand seiner Rache wieder zu sehen und seiner Wut neue Nahrung zu geben. Ich denke übrigens, Sie sollten keine Larve vors Gesicht nehmen, er wird Sie dann um so leichter erkennen, um so eher in Ihre Nähe, in seine Falle gehen; ich werde ein paar tüchtige Bursche in Dominos stecken und sie Ihnen zur Eskorte geben; auf ein Zeichen von Ihnen soll der alte Fuchs gefangen sein.“

Babette, das Kammermädchen der Sängerin, war während dieses Gespräches ab- und zugegangen; sie hatte gehört, wie ihre Dame entschlossen sei, den Mörder oder seine Gehülfen ausfindig zu machen, sie glaubte es sich selbst schuldig zu sein, nach Kräften zu dieser Entdeckung beizutragen. Sie paßte daher den Direktor ab, faßte sich ein Herz und sagte, sie habe schon neulich den Doktor auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der zur Entdeckung führen könnte, er scheine aber nicht darauf zu achten.

„Kein Umstand ist bei solchen Vorfällen gering, meine liebe Kleine“, antwortete der Mann der Polizei; „wenn Sie irgend etwas wissen –“

„Ich glaube fast, Signora ist zu diskret und will nicht recht mit der Sprache heraus; als sie den Stich bekam und in meinen Armen ohnmächtig wurde, war ihr letzter Seufzer – Bolnau.“

„Wie?“ rief der Direktor entrüstet, „und das verschwieg man mir bis jetzt? Einen so wichtigen Umstand; haben Sie auch recht gehört, Bolnau?“

„Auf meine Ehre“, sagte die Kleine und legte die Hand beteurend auf das Herz. „Bolnau, sagte sie und so schmerzlich, daß ich nicht anders glaube, als so heißt der Mörder; „aber bitte, verraten Sie mich nicht!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 364–365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_183.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)