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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Wie kommen Sie nur auf diese Vergleichung!“ entgegnete jener. „Wie oft waren wir morgens bei Primavesi!“

„Es ging mir nur so durch den Kopf“, sprach der Stallmeister; „gestehen Sie selbst, seit Tieck mit Marlow[1] und Green im Wirtshaus zusammenkam, glauben sie alle, es könne keinen schicklicheren Ort geben, um eine Novelle anzufangen; erinnern Sie sich nur an die Almanachs des letzten Jahres; doch Sie selbst sind ja solch ein Stück von einem Poeten, und wenn Sie durchaus heute mit dem Italiener anfangen wollen, so mögen Sie Ihren Willen haben.“

„Sie werden erwartet, Herr Doktor Zundler“, sagte der Italiener, als die beiden Männer in den Keller traten; „der Buchhändler Kaper sitzt schon seit einer Viertelstunde im Eckstübchen und fragte oft nach Ihnen.“

Der Stallmeister machte Miene, sich entfernen zu wollen; Doktor Zundler aber faßte hastig seine Hand: „Bleiben Sie immer“, rief er, „kommen Sie mit zu dem Buchhändler; er wird wohl von meinem neuen Roman gehört haben und mir Verlag anbieten; da können Sie einmal sehen, wie unsereiner Geschäfte macht; habe ich ja selbst schon oft Ihrem Pferdeeinkaufen beigewohnt.“

Der Stallmeister folgte; in einer Ecke sah er einen kleinen, bleichen Mann, der hastig an einem Rippchen zehrte und, so oft er einen Biß getan, Lippen und Finger ableckte; er erinnerte sich, diese Figur hie und da durch die Straßen schleichen gesehen zu haben, und hatte den Mann immer für einen Krämer gehalten; jetzt wurde ihm dieser als Buchhändler Kaper vorgestellt. Zur Verwunderung des Stallmeisters sprach er nicht zuerst den Dichter, sondern ihn selbst an: „Herr Stallmeister“, sagte er, „schon lange habe ich mich gesehnt, Ihre werte Bekanntschaft zu machen. Wenn Sie oft an meinem Gewölbe vorbeiritten, ritten, ich darf sagen, wie ein Gott, da sagte ich immer zu meinem [383] Buchhalter, und auf Ehre, es ist wahr, ‚Winkelmann‘, sagte ich (Sie kennen ihn ja, Herr Doktor), ‚Winkelmann, es fehlt uns schon lange an einem tüchtigen Pferde- und Bereiterbuch. Der Pferdealmanach erscheint schon lange nicht mehr, und was letzthin der Herr Baptist bei den Kunstreitern geschrieben, ist auch mehr für Dilettanten, obgleich die Vignette schön ist‘ – Sie haben ja den Menschen persönlich gesehen, Herr Doktor; ‚nun‘, sagte ich, ‚ein solches Buch zu schreiben, wäre der Herr Stallmeister von Rempen ganz der Mann. Etwa fürs erste achtzehn – zwanzig Bogen, statt der Kupfer nehmen wir Lithographien –‘“

„Bemühen Sie sich nicht“, erwiderte der junge Rempen, mit Mühe das Lachen unterdrückend. „Ich bin zum Büchermachen verdorben; es geht mir nicht von der Hand, und überdies, Herr Kaper, bei unserem Metier, gerade bei unserem, muß der Jüngere sich bescheiden. Da kömmt es auf Erfahrung an.“

„Und ich dächte, Sie hätten Verlag genug“, sagte der Doktor, wie es schien, etwas ärgerlich, von dem Buchhändler nicht gleich beachtet worden zu sein.

„O ja, Herr Doktor, Verlag genug, was man so verlegene Bücher nennt, ich könnte Deutschland in allen Monaten, die ein R haben, mit Krebsen[2] versehen; Sie wissen ja selbst.“

„Ich will nicht hoffen“, rief der Dichter hoch errötend, „daß Sie damit etwa mein griechisches Epos[3] meinen –“

„Mit nichten, gewiß nicht, wir haben doch hundert etwa abgesetzt und die Kosten so ziemlich gedeckt, und der Herr Doktor werden mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, es war eine frühe Arbeit, eine Jugendarbeit; hat doch auch Schiller nicht gleich mit dem ‚Tell‘ angefangen, sondern zuerst die ‚Räuber‘ geschrieben, und überdies noch die erste Ausgabe bei Schwan und Götz[4], wo Franz Moor noch in den Turm kömmt, die gar nicht


  1. Christopher Marlow (1564–93) und Robert Greene (nicht Green) (nach 1550–92), beide englische Dramatiker und Zeitgenossen Shakespeares, wurden von Ludwig Tieck (1773–1853) zum Teil übersetzt (so in seinen Werken „Altenglisches Theater“, 1811, und „Shakespeares Vorschule“, 1823), spielen aber auch eine Rolle in dessen historischer Novelle „Dichterleben“ (1826), worin beide gleich am Anfang in einem Wirtshause zusammen auftreten.
  2. Bekanntlich werden Krebse in den vier Monaten des Jahres gegessen, die kein r haben, also vom Mai bis August; da nun der Buchhändler diejenigen Bücher, die vom Sortimenter nicht verkauft, sondern nach einer bestimmten Zeit an den Verleger zurückgeschickt werden, auch Krebse nennt, so setzt Hauff hier die beiden denselben Namen tragende Dinge in einen gewissen Gegensatz, indem er sagt, daß die buchhändlerischen Krebse so zahlreich sind, daß sie für die übrigen acht Monate ausreichend wären.
  3. Eine Anspielung Hauffs auf die damals so zahlreichen poetischen Verherrlichungen der Griechen und ihres Freiheitskampfes.
  4. Diese Angaben sind nicht richtig. Die erste Ausgabe der „Räuber“ erschien 1781 in Stuttgart anonym und mit falscher Angabe des Druckorts; eine Ausgabe bei C. F. Schwan in Mannheim kam 1782 (und hierauf 1788 bei Schwan und G. C. Götz) heraus mit dem für die Mannheimer Bühne bearbeiteten Texte, wonach Franz am Schlusse in den Turm gestoßen wird, während er sich in der ursprünglichen Ausgabe selbst erdrosselt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 382–383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_192.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)