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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

zarte Liebe, die nur einen Frühling blühte, mit zu Grabe gehen. In diesem außerordentlichen Buche ist ein Geist unter uns getreten, so originell, so groß, so frei, daß er keine Vergleichung zuläßt. Er nennt sich Hüon, zwar ein angenommener Name, aber gut gewählt; denn der Verfasser scheint uns nicht minder würdig, von Oberon mit Horn und Becher beschenkt zu werden, als jener tapfere Paladin Karls des Großen. Mit Vergnügen müssen einen solchen Jünger Meister wie Goethe und Tieck willkommen heißen, und unsere Zeit darf sich glücklich preisen, einen Mann wie diesen geboren zu haben.

Aber mit tiefer Indignation müssen wir hierbei einer Clique von Menschen gedenken, die diese edle Blume schon in ihrem Keim in den Staub drücken wollten. Freilich ist er euch zu groß, zu erhaben, ihr kleinen belletristischen Seelen; möge immer diese poetische Badegesellschaft in ihrem lauen Versewasser auf- und niedertauchen, nur bespritze sie nicht mit ihrem Schlammwasser den Wanderer, der am Ufer geht und sich verachtend abwendet. Ein Glück ist es übrigens, daß man anfängt, in der guten Gesellschaft auf reinere Melodien zu horchen, daß man diese Bänkelsänger dem Straßenpöbel überläßt. 190.“[1]

Für den Stallmeister war es ein interessantes Schauspiel, die Gesichter der Zuhörer zu mustern, während der Dichter mit schnarrendem Tone diese Kritik ablas. Der Buchhändler, der ihm zunächst saß, versteckte schlecht seine Neugierde und eine gewisse Behaglichkeit hinter einer unmutigen Miene. Vielleicht hatte ihm der Hofrat einmal ein Verlagswerk schlecht rezensiert, oder der Theaterdichter hatte ihm nichts zum Verlegen gegeben, oder irgend einer der „Badegesellschaft“ hatte ihn beleidigt; er dachte wie so viele kleine Seelen im ähnlichen Falle: „Gottlob, es ist dafür gesorgt, daß die Rezensenten sich immer selbst wieder rezensieren.“ Der Rat hatte den Mund auf den Stockknopf gepreßt, und seine Augen irrten auf dem Boden; der Theaterdichter zwang sich zu einer Art von vornehmer Ruhe, die ihm vorhin völlig gefehlt hatte; sein „Ohe“ oder „Ei“, das er hin und wieder mit [391] einem kurzen Lachen herauspreßte, klang unnatürlich. Am merkwürdigsten war dem jungen Rempen ein stiller Zuhörer, der scheinbar ohne Teilnahme in der Ecke saß, der Referendär Palvi. Als der Doktor zu lesen anhub, lauschte er mit niedergeschlagenen Augen; dann ergoß sich plötzlich eine brennende Röte über seine Stirne und Wangen; sie verschwand ebenso schnell als der glänzende Blick seiner großen Augen, den er auf den Lesenden warf, und wer diesen Blick, dieses flüchtige Erröten nicht gesehen, konnte vor- und nachher glauben, er schenke weder diesen Literatoren noch der Ursache ihres Aufbrausens einige Aufmerksamkeit.

„Nun, was sagen Sie dazu?“ fragte der Theaterdichter, nachdem Dr. Zundler geendet hatte. „Sie sind ja auch mit gemeint, denn zahlreiche Stanzen, Sonette, Triolette und Kritiken finden sich von Ihrer Arbeit in den ‚Blättern fürs belletristische Vergnügen‘.“

„Schweigen kann man nicht!“ rief der Doktor entrüstet. „Ja, wir stehen alle für einen, und alle, die ins Freitagskränzchen kommen, müssen beleidigt sein, müssen sich rächen. Ich habe in Berlin einen Bekannten; in den ‚Gesellschafter‘[2] lass’ ich es rücken durch die dritte Hand, oder vielleicht nimmt es Dr. Saphir[3] in die ‚Schnellpost‘[3] auf; ich kenn’ ihn noch von Wien.“

„In meinen Theaterkritiken mache ich Ausfälle“, fuhr der Theaterdichter fort; „ah! wenn nur Marienburg nicht preußisch wäre, ich wollte mich rächen, wollte, oh! aber so könnte man alles für Anzüglichkeit nehmen. Und gegen die ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ kann ich nicht offen schimpfen; ich habe noch drei Trauerspiele dort liegen, die noch nicht rezensiert sind. Aber wo ein Loch offen ist, will ich einen Ausfall machen!“

„Ich will untergehen“, sagte der Rat pathetisch, indem er seinen Wein bezahlte und den Hut ergriff, „fallen will ich oder siegreich hervorschreiten aus diesem Kampf. Die ganze Lyrik ist in mir beleidigt, auch alle Romantiker, denn wir haben auch Romanzen gemacht, und diese Hermaphroditen von Geschichte


  1. In den „Blättern für literarische Unterhaltung“ wurden die Aufsätze nicht mit dem Namen ihrer Verfasser, sondern mit einer diesen beigelegten Nummer unterzeichnet.
  2. Bekannte literarische Zeitschrift, die von 1814–47 von F. W. Gubitz in Berlin herausgegeben wurde.
  3. a b Moritz Gottlieb Saphir (1795–1858), bekannter Humorist und Satiriker, gab 1826–29 das Witzblatt „Berliner Schnellpost“ heraus, das ihn wegen seiner scharfen Angriffe sehr unbeliebt machte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 390–391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)