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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

flog über Rempens Gesicht, denn er erkannte diese Stimme. Sein Auge begegnete dem dunkeln Auge Palvis, das wohl eine Weile prüfend auf seinen Zügen verweilt haben mochte.

„Kennen Sie die Stimme?“ fragte Rempen etwas befangen.

„Ich kenne sie“, erwiderte jener und stand auf.

„Und wollen Sie sich den Genuß vermindern und näher treten?“

„Ich möchte wohl auch die Worte des Textes hören“, entschuldigte sich jener nicht ohne Verlegenheit.

Der Stallmeister folgte ihm; Palvi schwebte schnellen, aber leisen Schrittes über den Boden hin und setzte sich unweit des Zimmers wieder, wo Elise sang, auf ein Bankett, indem er Rempen durch einen stummen Wink einlud, sich neben ihn zu setzen. Sie lauschten; es war die bekannte Melodie einer jener alten französischen Romanzen, die, indem sie durch ihren ungekünstelten Wohllaut dem Ohre schmeicheln, in mutigen Tönen das Herz erheben; aber ein deutscher Text war untergelegt, Worte, von welchen die Sängerin selbst wunderbar ergriffen schien, denn sie trug sie mit einem Feuer vor, das ihre Zuhörer mit erfaßte.

Der junge Rempen fühlte sein Herz von Liebe zu der Sängerin wie von dem hohen Schwung ihres Gesanges mächtiger gehoben; aber mit Verwunderung und Neugierde sah er die tiefe Bewegung, die sich auf den Zügen seines Nachbars ausdrückte. Seine Augen strahlten, sein Haupt hatte sich mutig und stolz aufgerichtet, und um Wangen und Stirne wogte eine dunkle Röte auf und ab, jene Röte, die ein erfülltes, von irgend einer mächtigen Freude überraschtes Herz verrät.

Mit gekrümmtem Rücken, auf den Zehenspitzen schlich jetzt der Oheim Rempen heran. Schon von weitem drückte er seinem Neffen durch beredtes Mienenspiel seinen Beifall über den herrlichen Gesang aus, und als er nahe genug war, flüsterte er: „Heute singt sie wieder die Pasta[1], voll Glut, voll Glut; und der schöne Text, den sie untergelegt hat! er ist aus einem neuen Roman, ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘.“

[403] Der junge Mann winkte seinem Oheim ungeduldig, stille zu sein; der Alte schlich weiter zu einer andern Gruppe, und die beiden lauschten wieder ungestört, bis der Gesang geendet war.



5. Die letzten Ritter von Marienburg.

Rauschender Beifall füllte nun das Gemach, man drängte sich um die Sängerin, und auch Rempen folgte seinem Herzen, das ihn zu Elisen zog. Aber schon war sie von einem halb Dutzend jener Literatoren umlagert, die ihn immer verdrängten. „Welch herrliches Lied!“ hörte er den Doktor Zundler sagen, „welche Kraft, welche Fülle von Mut, und wie zart gehalten!“ Doch dem Stallmeister entging nicht, daß der Hofrat, der ebenfalls bei der Gruppe stand, den jungen Doktor durch einen freundschaftlichen Rippenstoß aufmerksam darauf zu machen schien, daß er etwas Ungeschicktes gesagt habe. Er erschrak, errötete und fragte in befangener Verlegenheit, woher das Fräulein das schöne Lied habe.

„Es ist aus den ‚Letzten Rittern von Marienburg‘, von Hüon.“ Ein Gemurmel des Staunens und Beifalls lief durch die dichten Massen, als man diesen Titel hörte. „Wie ein neuer Roman?“ – „Ah! derselbe, welchen die ‚Blätter fürs belletristische Vergnügen‘ so tüchtig ausg– Sie sind ja da, leise, leise.“ – – „Wo kann man den Roman sehen?“ – So wogte das Gespräch und Geflüster auf und ab, bis der Wirt des Hauses mit triumphierendem Lächeln ein Damenkörbchen an seidenen Bändern in die Höhe hielt, es öffnete und ein Buch hervorzog. Er schlug den Titel auf, er zeigte ihn der gespannten Gesellschaft, und mit freudigem Staunen las man in großen gotischen Lettern: „Die letzten Ritter von Marienburg.“ – „Vorlesen, bitte, vorlesen“, tönte es jetzt von dreißig, vierzig schönen Lippen, und selbst die jungen Männer, die sonst diese Unterhaltung weniger liebten, stimmten für die Vorlesung. Aber eine nicht geringe Schwierigkeit fand sich jetzt in der Wahl des Vorlesers; denn jene Literatoren, die sonst in diesem Zirkel dieses Amt bekleidet hatten, stemmten sich heute bestimmt dagegen; der eine war erhitzt, der andere hatte Katarrh, der dritte war heiser, und allen war die


  1. Giuditta Pasta, geborene Negri, aus Como (1798–1865), eine in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts in ganz Europa viel gefeierte dramatische Sängerin.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 402–403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_202.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)