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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

nach, als Lehrer an Universitäten, als Erzieher in brillanten Häusern, in der Gesellschaft durch ihr Äußeres den Rang nicht ausfüllten, den ihnen ihre Gelehrsamkeit gab. Eine solche Figur aus alter Zeit ist mein Freund. Er ging schon vor dreißig Jahren aus seinem Vaterlande, hat aber weder in Kurland noch in Sachsen seine Eigenheiten abgelegt. Er lebt hier, abgeschieden von der Welt, in einem Dachstübchen; ich halte ihn für einen der tiefsten Denker des Zeitalters, dabei ist er ein liebenswürdiger Dichter, und dennoch ist sein Name gänzlich unbekannt. Die gelehrtesten Rezensionen in den Leipziger und Haller Blättern sind von seiner Hand; manche Entdeckung, mancher tiefgedachte Satz, womit jetzt die neuen Philosophen ihre Werke aufputzen, sind von ihm, er hat sie spielend hingeworfen.“

„Also ein literarischer Eremit“, rief Rempen aus, indem er, nicht ohne kleinen Schauder, an der Seite des Referendärs durch enge, schmutzige Gäßchen ging. „Eine Nachteule der Minerva in bester Form?“

„Wenn es heutzutage wieder einen Diogenes geben könnte“, erwiderte jener, „ich glaube, er müßte im Kostüm meines Magisters erscheinen. Dieses ehrliche, kluge, ein wenig ernste Gesicht, die kunstlos um den Kopf hängenden Haare, das verschossene Hütchen, der abgetragene Rock, den er mit keinem andern vertauschen mag, die sonderbare, beinahe zärtliche Neigung zu einer alten, schwarzgerauchten Pfeife, dazu ein dunkelbraunes Meerrohr mit silbernem Knopfe, und diese ganze Gestalt in der düsteren, schwärzlichen Spelunke, in welche wir eben treten wollen – nehmen Sie dies alles zusammen, und Sie werden finden, das Urbild eines modernen cynischen Philosophen ist fertig, nur würde er einen Alexander nicht um ein wenig Sonne, sondern um ein bißchen Feuer für seine Pfeife bitten.“

Durch einen Vorplatz, wo das trübe Licht einer schmutzigen Laterne einen zweifelhaften Schein auf Kornsäcke und umgestülpte Bierfäßchen warf, traten jetzt die beiden jungen Männer in das größere Schenkzimmer des Entenzapfen. Der Wirt, dick und angeschwollen von dem Kosten seines eigenen Getränkes, schlief in einem Lehnsessel hinter dem Ofen; einige abgerissene Gestalten spielten bei einem Stümpfchen Licht mit schmierigen [413] Karten und sahen die Vorübergehenden mit matten, schläfrigen Augen an.

Palvi ging vorüber in ein zweites, kleineres Gemach, das für bessere Gäste eingerichtet schien. Derselbe Alte, den Rempen diesen Abend flüchtig gesehen, saß dort allein hinter einer Kanne Bier. Auf den Tisch hatte er mit Kreide einen mathematischen Satz gemalt. Er schaute, die Stirne in die Hand gestützt, aufmerksam auf seine Berechnung nieder, und nur große Tabakswolken, die er hin und wieder ausstieß, zeigten, daß er lebe und atme. Erst auf den Abendgruß seines jungen Freundes richtete er sich auf und zeigte ein ernstes, gleichgültiges Gesicht, dem nur das glänzende, ungemein interessante Auge einiges Leben verlieh.

Die Gegenwart eines Fremden schien ihm unangenehm aufzufallen. Kurz abgebrochen, indem er hastig mit dem Rockärmel die Figuren von dem Tische abwischte, sagte er: „Seid lange ausgeblieben.“

„Dafür bringe ich aber einen seltenen Gast mit“, erwiderte der junge Mann, „der das Entenbier versuchen will.“

„Literator?“ fragte der Alte etwas mürrisch.

„Wo denkst du hin, Magister; ein hiesiger Literator und der Entenzapfen! Nein, er ist nicht von diesen, sondern heißt Herr von Rempen und ist Stallmeister.“

„Da haben der Herr die ächte Quelle gefunden“, sprach der Alte freundlich und mit einer Herzlichkeit, die ihn sogar angenehm machte. „Der Entenzapfen hat solid Getränke. Setzet Euch, da bringt die Kellnerin schon die Kannen.“

Der Stallmeister erschrak vor der großen Kanne, die ihm das niedliche Kellnermädchen mit den roten Lippen kredenzte; aber die Neugierde nach dem Magister, der Drang, von Palvi nähere Aufschlüsse über Elisens Betragen zu erhalten, milderten seinen Schauder vor dem Entenzapfen.

„Es hat einen eigenen Reiz für mich“, sagte er, um die Anrede des Alten zu erwidern, „so aus einer glänzenden Gesellschaft, wo alles voll Glanz und Putz, voll Berechnung und eitlen Benehmens ist, mich in die Einfachheit einer solchen Schenke zu begeben. Man wird so leicht verführt, jenes schimmernde

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 412–413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_207.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)