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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Raum für ihn gab, als den Posten eines Stadtschreibers, den er freilich so schlecht als möglich ausgefüllt haben mochte.“

„Mensch, nichts Bitteres gegen mein schönes Vaterland“, sagte der Alte mit sehr ernstem Blick. „Es war die Wiege großer Männer.“

„Du sagst es“, erwiderte Palvi, „die Wiege, aber nicht das Grab. Und dieser Umstand mag seine eigenen Ursachen haben. Zum mindesten findet man in Odessa wie am Mississippi, in Polen und in Rio Janeiro und überdies noch auf den Kathedern aller bekannten Universitäten deine Landsleute. Doktor Zundler nun, um von diesem zu reden, hatte das Glück, eines Tages eine Wohnung zu beziehen, in deren Giebel unser Magister ein Freilogis bewohnt, weil er den Knaben des Hausherrn zum Gelehrten bilden soll. Doktor Zundler hat, um sich zum Dichter zu bilden, viel gelesen und hat den großen Menschenkennern bald abgemerkt, daß sie auf Originale Jagd machen. Er stellt sich daher alle Tage zwei Stunden mit seinem Glas unter das Fenster und stellt Betrachtungen über die Menschen an, wie der selige Hoffmann[1] in ‚Vetters Eckfenster‘, nur, behauptet man, mit verschiedenem Erfolg. Denn der selige Kammergerichtsrat guckte durch das Kaleidoskop, das ihm eine Fee geschenkt, der Doktor Zundler aber durch ein ganz gewöhnliches Opernglas. Da sah er einigemal den Magister und – nun, Bunkerchen, erzähle.“

Ein behagliches Lächeln verbreitete sich über das Gesicht des Alten; er trank in längeren Zügen aus seinem Glas und erzählte dann: „Eines Tages sagte mir meine Aufwärterin, daß sich der wunderschöne, reiche Herr in der Beletage nach mir erkundigt habe, wer ich wäre, was ich treibe und dergleichen. Bald darauf kam ein schön geputzter Herr in mein Stübchen, beguckte mich von allen Seiten, fragte mich allerlei und wunderte sich ungemein, daß ich ein Gelehrter sei. Er hatte mich, meiner Physiognomie nach, für einen unglücklichen Musiker gehalten. Sein Staunen wuchs, als er einige poetische Versuche, [421] die am Boden lagen, aufnahm und las. Er wollte nicht glauben, daß sie von mir herrühren, und nahm sie endlich ‚aus reinem Interesse‘, wie er sagte, mit. Den folgenden Tag schickte er mir ein paar Flaschen Wein. Es freute mich, ich hatte gehört, daß er reich sei; ich bin arm, und trank den Wein. Als ich die erste Flasche hinunter hatte und warm war, ging die Tür auf und mein Doktorchen kam herein. Ein Wort gab das andere; man kam auf meine Poesie, ich machte wenig daraus, er viel; er schwatzte mir etwas vor von einer Erbschaft, die er gewinnen könne, von seinem Oheim, einem portierten[2] Verehrer der Musen. Seine bisherigen Versuche haben aber nur den Unwillen des Erblassers erregt. So machte es sich von selbst, daß ich ihm meinen ganzen Kram von Poesien anbot; mich selbst amüsierten diese Verse nur, solange ich sie entwarf und ausarbeitete; ob sie das Publikum lese, ob es mich dabei nenne, war ja so gleichgültig! Im Scherz ging ich einen Akkord ein, daß ich ihm auch eine Novelle und später einen Roman schriebe. Er gibt mir dafür Wein, Knaster, zuweilen Geld, und ich habe das Bequeme, daß niemand, weder in Lob noch Tadel, meinen Namen nennt, was mir unausstehlich ist, und daß ich mich mit keinem Journalredakteur, mit keinem Buchhändler, keinem Rezensenten herumbeißen muß.“

„Ist dies nicht köstlich, Stallmeister?“ fragte Palvi lachend. „Was halten Sie von diesem trefflichen Lyriker, von diesem Zunder, der ohne fremden Stahl und Stein kein Feuer gibt?“

„Ist es möglich!“ rief der junge Rempen staunend aus. „Ist eine solche lächerliche Niederträchtigkeit jemals erhört worden! Und diesen Menschen konnte auch ich für einen Dichter halten, konnte den Genius bewundern, der auf einmal über ihn gekommen? Und auch sie, auch sie“, fuhr er in Gedanken versunken fort, „auch sie ehrt und achtet ihn darum, zeichnet ihn aus, spricht mit ihm über seine neuesten Werke. Es ist um rasend zu werden!“

Palvi sah den jungen Mann bei diesen Worten teilnehmend, beinahe gerührt an; er schien mit Mühe eine tiefe Wehmut zu bekämpfen; aber der Alte fuhr fort: „Solch belletristisches Ungeziefer, das sich vom Marke anderer mästet, hätte ich schon


in sehr unerquicklichen Verhältnissen lebte. Wieland verlegte in seiner Geschichte die Handlung nach der trazischen Stadt Abdera, deren Bewohner im Altertum für kleinlich und beschränkt galten.

  1. „Des Vetters Eckfenster“, Titel einer Erzählung E. T. A. Hoffmanns, der 1822 als Kammergerichtsrat in Berlin starb.
  2. Portiert sein, soviel wie eingenommen sein für etwas; portiert, geneigt, günstig, warm.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 420–421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_211.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)