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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

decken. Das zweite Mal drückte mich eine bei weitem geringere Verlegenheit bei weitem unangenehmer, weil ich keinen Rat wußte. Sie hatte es erfahren, und durch fremde Hand wurden meine Schulden getilgt. Mädchen in guten Ständen, in einem soliden Hause aufgewachsen, wissen nicht, wie leicht ein armer Teufel in solche Verlegenheit kömmt. Sie schmälte mich in den Ferien und hielt mich für einen schlechten Menschen. Ich versprach Fleiß und solides Leben. Das Unglück eines meiner Freunde, der einen andern erschoß, riß mich mit fort und wieder ins Elend. Auch da hat sie mir wieder geholfen und mich zu Ehren gebracht. Bei so vielen Wohltaten konnte mich vor mir selbst nur der Gedanke entschuldigen, daß es die Hand der Geliebten sei, die mich gerettet, daß ich diese Hand einst auf immer in die meinige legen werde.

Ich raffte mich zusammen, und bald darauf gelang es mir durch Fleiß, hier angestellt zu werden. Meine Stellung zu Elisen war aber eine ganz andere geworden. Der alte Wilkow hatte erfahren, wie mich seine Tochter unterstützt hatte, und verbot mir schon beim ersten Besuch sein Haus, aus dem einfachen Grunde, weil ich arm und leichtsinnig sei.

Elise selbst lebte in großen, glänzenden Zirkeln, wo ich keinen Zutritt hatte, verkehrte mit allerlei schönen Geistern und galt für die Krone der jungen Damen. Ich konnte sie höchstens in öffentlichen Gärten, auf Bällen und Konzerten, im Theater sehen. Und nur ihr freundlicher Blick konnte mich für so viel Entsagung trösten, konnte mich von dem beinahe Unbegreiflichen überzeugen, daß dieses allgemein angebetete Geschöpf – mich liebe.“

Der Stallmeister suchte vergebens seine Bewegung zu verbergen. Eine hohe Röte lag auf seinem Gesicht, und sein Auge hing voll Erwartung an den Lippen Palvis.

„Beruhigen Sie sich“, sagte dieser, als er den unangenehmen Eindruck bemerkte, den seine Erzählung auf den jungen Mann machte. „Fürchten Sie nichts, ich werde bald zu Ende sein. Ich war[WS 1] glücklich und zufrieden; ich kannte ihre Vorliebe für Poesie, und die Liebe ermutigte mich, einen Versuch zu wagen, der mich ihr noch werter machen sollte. Ich strengte alle meine Kräfte an, um sie mit etwas Gelungenem zu überraschen. Da brachte man [425] mir eines Tages einen Brief. Ich erkannte ihre Züge, ich riß ihn auf und – sie schrieb mir mit kurzen, aber heftigen Worten, daß sie sich auf ewig von mir lossage, daß sie mich in tiefster Seele verachte; warum? werde mir mein eigenes Gewissen sagen. Ich versuchte mancherlei Wege, um mich ihr zu nahen, mein Gewissen sprach mich von irgend einem Fehler gegen die Geliebte frei, darum wollte ich mir Gewißheit über das Warum verschaffen. Doch sie wich überall aus, und noch heute – heute abend in jenem Zirkel hat sie alle meine Hoffnungen zertrümmert.“

In dem edelmütigen Herzen des jungen Rempen siegte Mitleiden über jedes andere Gefühl. Er faßte die Hand des unglücklichen, ihm so interessanten Mannes; er gelobte ihm, bei Elisen für ihn zu sprechen, sie um die Ursache ihres Betragens zu befragen.

Aber jener erwiderte mit dem Stolze, den unverdiente Kränkung gibt: „Vertrauen ist die erste Bedingung der Liebe. Wo Vertrauen fehlt, da war nie Liebe, oder sie ist jedem Zufall ausgesetzt. Ich habe Elise auf immer verloren, selbst wenn sie mich wieder lieben würde.“

„Und in diesem Zustand wollen Sie hier fortleben?“ fragte Rempen, seine Hand ergreifend; „wollen Elisen sehen und dabei immer fühlen, daß Sie verachtet sind?“

„Nein, gewiß nicht“, sprach jener mit düstrem Lächeln; „mein Geschäft in dieser Stadt ist zu Ende. Es bleibt mir nur noch übrig, die Geliebte vor Menschen zu warnen, die ihrer nicht wert sind. Diesen literarischen Pöbel, der ihr so unendlich wert scheint, will ich noch vor ihren Augen entlarven; und ich glaube ihr damit nützlich zu sein, denn die Stellung, die Elise jetzt eingenommen, würde sie später nimmer glücklich machen. Sie selbst werden mir dazu helfen, mein Freund, schlagen Sie ein; wir wollen unsere Penelope von diesen Freiern erretten.“

„Wohlan!“ rief der Stallmeister, indem er aufbrach, „vielleicht findet sich morgen schon Gelegenheit, wenn uns ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘ versammeln; aber dann“, setzte er entschlossen hinzu, „noch einen Versuch, um auch Sie glücklich zu machen!“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wahr
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 424–425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)