Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/263

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deren ich indirect geziehen ward, und wie es endlich enthüllt vor den Augen der Menschen daliegt und den verdienten Lohn empfängt. Der andere donnerte in emphatischen Worten gegen den Sittenverfall des Auslandes und bewies, daß England das Eldorado der Tugend sei, welcher der Umgang mit den Fremden gefährlich werde. – Dann schleuderte er den Bannstrahl gegen die Delila, die das Herz des geweiheten Simson gefesselt und verführt habe. „Stoßet die Sünderin hinaus,“ rief er seinen wohlunterrichteten Zuhörern zu, welche gar nichts besseres verlangten, als die bevorzugte und gehaßte Fremde zu stürzen, und ihre Blicke triumphirend auf das Schlachtopfer hefteten. – Dann wurde der Verlust des guten Namens bei jeder Gelegenheit als das größte Unglück geschildert, man hob den Selbstmord als das einzige Mittel, demselben zu entgehen, und das Verdienst, ihn unter solchen Umständen zu vollziehen, lobend hervor. Mistreß B. rühmte besonders den Wassertod und den Heldenmuth eines Unglücklichen, der sein Leben und seinen Schmerz in der kühlen Fluth endet. – Herr R. insinuirte, daß es das heroischste und poetischste sei, weit in den See zu schiffen und sich dort hinabzustürzen. Es scheint vielleicht unglaublich, aber es ist nichtsdestoweniger wahr, daß diese Menschen, die mich seither noch nie eingeladen hatten, auf dem Wasser zu fahren, mich jetzt mehrere Male aufforderten, mit ihnen zu schiffen, wofür ich jedoch dankte. Auf diese Weise suchten mich die Familien B. und R. zur Verzweiflung zu bringen. Aber wen Gott rechtfertigt, wer will den verdammen?

Nach drei Wochen kehrte Julius zurück, dessen Charakter und Verhalten in dieser Sache jeder selbst beurtheilen mag. Ich bin dazu weder fähig noch berufen. Jetzt war er nur noch der Schatten seines früheren Ich, seine hochgewölbte Brust, sein üppiger Wuchs war verschwunden, die Kleider schlotterten um seine Glieder, seine abgemagerten Züge trugen den Ausdruck schweren inneren Kampfes. Aber auch ich war unkennbar geworden, der Gram hatte alle Frische und Rundung von meinem Gesicht gezehrt, meine Augen waren erloschen und tiefliegend. Julius war krankhaft veränderlich, bisweilen hingebend und weich, dann wild und roh, bald klagte, bald scherzte er, die Nächte trieb er sich auf dem jetzt stürmischen See umher. Wir begegneten uns ernst und fremd, es kam nie zu einer Erklärung zwischen uns, wie es in schöneren Tagen nicht dazu gekommen war.

So kam der Tag der Abreise heran. Es war ein kalter Novembermorgen