Seite:Der Stechlin (Fontane) 158.jpg

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Dienst über, wozu seine Bildung, sein Vermögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahre ging er nach London, erst als Attaché, wurde dann Botschaftsrat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage der Aufrichtung des Deutschen Reichs. Seine Beziehungen sowohl zu der heimisch-englischen wie zu der außer-englischen Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtesgaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London. Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem außerordentlich sympathisch, und er hatte sich daran gewöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. Auch seine Familie, die Frau und die zwei Töchter – beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner Tage geboren – teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der 80er Jahre seine Demission, ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles that ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genaß soweit er wieder genesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und sein Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die ältere Tochter mit dem italienischen Grafen Ghiberti verlobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglichkeit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen hatte.

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Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)