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Es ist notwendig, den Vorgängen, wie sie von Konstantinopel berichtet werden, im einzelnen zu folgen, um einen Einblick in den Zusammenhang der Ereignisse und in Tatsachen zu gewinnen, die, von fern betrachtet, kaum glaublich erscheinen.

Aknuni, ein Mann von hoher Bildung und weitem Horizont, der die gleichen Sympathien bei Türken wie bei Armeniern genoß, und als Führer der konstitutionellen Armenier sichtbar im Vordergrund stand, als Schriftsteller ebenso bedeutend wie als Mensch, war ein persönlicher Freund des allmächtigen Ministers des Innern Talaat Bey. Aknuni besucht Talaat Bey und spricht mit ihm über die Lage der Armenier in der Provinz. Darauf gibt Talaat den telegraphischen Befehl nach Erzerum, daß man die Armenier und insbesondere die Daschnakzagan gut behandeln solle.

„Es gibt in der Tat keine Ursache,“ heißt es nach der Mitteilung über diese Unterredung in der Parteikorrespondenz[1] (29. Sept./12. Okt. 1914), „weshalb die Regierung gegen uns Mißtrauen hegen könnte. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Sie wissen, daß unser Kongreß beschlossen hat, daß jeder Armenier seine Pflicht als ottomanischer Untertan erfüllen und sich willig der Mobilmachung unterziehen soll. Wir sind daher berechtigt zu erwarten, daß die Regierung unsere Loyalität anerkennt, denn wir sind bereit, alles, was in unsern Kräften steht, für die Aufrechterhaltung der Unantastbarkeit des Osmanischen Reiches und für die


  1. Die Parteikorrespondenz der Bureaus von Konstantinopel, der die obigen Auszüge entnommen sind, war für die verschiedenen Zentralkomitees im Inland und Ausland bestimmt. Sie enthält alle Nachrichten, die das Bureau aus dem Inneren erhielt, und berichtet über die Vorgänge in Konstantinopel. Der intime Charakter der Korrespondenz bringt es mit sich, daß man die Stimmungen, Urteile, Sorgen und Überlegungen, wie sie unter dem wechselnden Eindruck der Ereignisse entstehen, mit voller Deutlichkeit und Unbefangenheit verfolgen kann und einen unmittelbaren Eindruck von der Wahrhaftigkeit des Berichteten gewinnt.
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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/218&oldid=- (Version vom 31.7.2018)