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Als die Frage der Unterdrückung der christlichen Nationalitäten einmal im Komitee zur Sprache kam, äußerte ein exaltierter Türke: „Der Fehler ist, daß nicht schon Muhammed der Eroberer, das getan hat, was wir jetzt tun.“ Von einem anderen Komiteemitglied, das etwas mehr geschichtliche Bildung besaß, erhielt er die Antwort: „Dann stünde die Türkei heut noch auf der Kulturstufe von Marokko.“

Bei der Mehrheit des Komitees scheint die Absicht, einen vernichtenden Schlag gegen die Armenier zu führen, schon am Anfang des Krieges bestanden zu haben. Natürlich erhob sich auch Widerspruch gegen eine so radikale Politik, die unbedenklich zu den Methoden Abdul Hamids zurückkehrte und ein Hohn war auf all die schönen Reden von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit, mit denen die Ära der Konstitution eingeleitet worden war. Djemal Bey, der Oberstkommandierende in Syrien, versuchte noch während der Deportation die Bevölkerung von Adana, wo er früher Wali gewesen war, zu retten. Daß verschiedene Walis, Mutessarifs und Kaimakams sich der Maßregel widersetzten, haben wir gesehen. Sobald aber im Zentralkomitee für Einheit und Fortschritt die Entscheidung gefallen war, begann die fieberhafte Tätigkeit der Zweigkomitees, die jeden Widerstand der Regierungsorgane im Innern brach und durch organisierte Banden die allgemeine Deportationsmaßregel in ein allgemeines Massaker verwandelte.

Gewisse psychische Hemmungen mußten auch beim Zentralkomitee und bei der Regierung überwunden werden. Man war sich augenscheinlich dessen bewußt, daß man an den Führern der Daschnakzagan, die gemeinsam mit den Jungtürken den Absolutismus gestürzt und seit Beginn der Konstitution unentwegt zu dem Komitee gehalten hatten, einen schnöden Verrat beging. Verschiedene der jungtürkischen Führer, die (wie der Auswärtige Minister Halil Bey, der während der Reaktion sich zwei Wochen im Haus von Sohrab versteckt gehalten hatte), ihren armenischen Freunden

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/266&oldid=- (Version vom 31.7.2018)