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da sie nicht weitermarschieren konnten. Ob sie vor Hunger gestorben sind? Wahrscheinlich. Aber man wird niemals etwas davon erfahren. Ich sah auch zwei arme Greisinnen aus Zeitun. Sie gehörten zu einer reichen Familie, aber sie durften außer den Kleidern, die sie am Leibe trugen, nichts mit sich nehmen. Es gelang ihnen noch 5 oder 6 Goldstücke in ihrer Perrücke zu verbergen. Unglücklicherweise spiegelte sich auf dem Marsch die Sonne in dem Metall, und der Glanz zog die Blicke eines Saptiehs an. Er verlor keine Zeit damit, die Goldstücke herauszuholen, und machte kurzen Prozeß, indem er ihnen die Perrücken abriß.

Noch einen anderen charakteristischen Fall sah ich mit meinen Augen. Ein ehemals reicher Bürger von Zeitun führte als Trümmer seiner Habe zwei Ziegen mit sich. Kommt ein Gendarm und greift in die beiden Zügel. Der Armenier bittet ihn, er möge sie ihm lassen, und fügt hinzu, er habe so schon nichts mehr, wovon er leben könne. Statt jeder Antwort schlägt ihn der Türke krumm und lahm, bis er sich im Staube wälzt und der Staub sich in blutigen Schlamm verwandelt. Dann gab er dem Armenier noch einen Fußtritt und zog mit den beiden Ziegen ab. Zwei andere Türken betrachteten sich dies Schauspiel ohne mit der Wimper zu zucken. Keiner von ihnen kam auf den Gedanken, sich einzumischen.“

Über das Schicksal der Verbannten in Karabunar wird unter dem 14. Mai geschrieben:

„Ein Brief, den ich aus Karabunar erhielt, und dessen Wahrheit nicht anzuzweifeln ist, da der Verfasser mir bekannt ist, versichert, daß von den Armeniern, die in der Zahl von 6 bis 8 Tausend von Zeitun nach Karabunar verschickt worden sind, einem der ungesundesten Orte des Wilajets, dort täglich 150 bis 200 Hungers sterben. Die Malaria richtet Verheerungen unter ihnen an, da es vollkommen an Nahrung und Unterkunft fehlt. Welche grausame Ironie, daß die Regierung vorgibt, sie zu verschicken,

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)