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17.
„So bitt ich dich, mein Ulinger,

so bitt ich dich, mein trauter Herr,
du wöllest mich lassen hangen
in Kleidern da ich in gange!“

18.
‚‚‚Das bitt mich nit, du Friedburg,

das bitt mich nit, du Jungfrau gut!
dein schwarzer Rock und Scharlahmantel
staht meiner jungen Schwester wol an.‘‘‘

19.
„So bitt ich dich, du Ulinger,

so bitt ich dich, du trauter Herr,
du wöllest mir erlauben
ein Schrei zween oder dreie!“

20.
‚‚‚Das solle dir erlaubet sein,

du bist so ferr in tiefem Thal;
du bist so ferr in tiefem Thal,
daß dich kein Mensch nit hören mag.‘‘‘

21.
Den ersten Schrei und den sie thät:

„Hilf Jesu, Marie Sohne!
und kommst du nicht so balde,
so bleib ich in diesem Walde.“

22.
Den andern Schrei und den sie thät:

„Hilf Maria, du reine Maid!
und kommst du nicht so behende,
mein Leben hat schier ein Ende.“

23.
Den dritten Schrei und den sie thät:

„Hilf allerliebster Bruder mein!
und kommst du nicht so drate,
mein Leben würd mir zu spate.“

24.
Ihr Bruder über den Hof einreit

und Einer zu dem Andern seit:
„„Mich dunkt in allem meim Sinne,
ich hör meiner Schwester Stimme.““

25.
Er ließ seinen Falken fliegen,

er ließ seine Winde stieben,
er eilet also balde
zu einem finstern Walde.

26.
„„Was thust du hie, mein Ulinger,

was thust du hie, mein trauter Herr?““
‚‚‚So stand ich hie und wind ein Wied,
daran ich meinen Fohlen bind.‘‘‘

27.
„„Und stahst du hie und windst ein Wied,

da du dein Fohlen an binden willt,
so red ichs auf die Treue mein:
du sollt mir selber der Fohlen sein!““

28.
‚‚‚So bitt ich dich, mein Friedburger,

so bitt ich dich, mein trauter Herr,
du wollest mich lassen hangen
in Kleidern da ich jetz stande!‘‘‘

29.
„„Das bitt mich nicht, du Ulinger,

das bitt mich nicht, du falscher Herr!
dein schwarzer Rock und Scharlahmantel
staht meinem Kuchenbuben wol an.““

30.
Er schwang sein grünen Schild neben ihn,

sein schöne Schwester hinter ihn,
er eilet also feste
da er seins Vaters Königreich weste.

1. Reit, ritt. Tagelied, Morgenlied auf das Scheiden zweier Geliebten beim Anbruch des Tages. – 3. gegen, s. S. 5. – 5. ihn, sich. – 9. sicht, sieht. fürbaß, mhd. fürbaz, fürder, hinfort (baz, besser, Comp von wel). – 11. sach, sah. – 16. ferr, mhd. vërre, fern, weit. – 17. gange, gehe. – 18. In: Scharlah ist statt der Aspirata die Spirans gesetzt, ähnlich wie in sah und sach, oder wie im ahd. und mhd. joh und joch, noh und noch. – 23. drate, mhd. drâte, schnell, alsbald. – 26. stand, stande, (ich) stehe. Wied, mhd. wit, f., Reis, Zweig, besonders von zähem Holze zum Binden. – 30. weste, mhd. wëste, wußte.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_094.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)