Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort | |
|
da steht ein grüne Linde;
darauf setzt sich Frau Nachtigall
und sang mit heller Stimme.
willst du mich lehren singen?
ich will dir dein Fuß mit Gold beschlan,
dein Händ mit goldnen Ringen.“
was frag ich nach Goldringen?
ich bin des Walds klein Vögelein,
kein Mann kann mich bezwingen.‘‘‘
kann dich kein Mann bezwingen:
so zwingt dich Reif und kalter Schnee
und sLaub wol von der Linden.“
so trauern alle Aeste:
daran gedenkt, ihr Mädchen jung,
und halt eur Kränzlein feste!‘‘‘
die saßen auf einer Linden:
„Ach du mein herzallerliebster Schatz,
wo werd ich dich Abends finden?“
des Morgens wirds dich reuen.
„Ach du mein herzallerliebster Schatz,
was brichst du mir die Treue!“
will doch viel lieber sterben;
was soll ich dann mein jung frisch Blut
an einem Knaben verderben.
und laß dich nicht betriegen;
denn Geld und Gut ist bald verzehrt,
dein Ehr ist nimmer zu kriegen.
als wie der Baum sein Aeste;
und wenn das Laub herunter fällt,
so trauren alle Aestcher.
so zieht er aus dem Lande;
er steckt die Feder auf sein Hut,
läßt sMädchen brav in Schande.
1. Truschel (nicht Trutschel), mhd. drosche, droschel, Droßel.
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_201.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)