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und darin besonders die wichtigen Streitfragen des Rechtes der Konterbande und der Blockade regelte. Allein auch diese Deklaration konnte bis jetzt die Ratifikation von keiner Seite erhalten und demgemäß hat das Seekriegsrecht bis jetzt nur in wenigen Einzelpunkten eine internationalrechtliche Ordnung gefunden. An den einschlägigen Arbeiten hat das Deutsche Reich einen hervorragenden Anteil genommen.

3. Das Finanzwesen des Reiches

Grundlagen.

Das Finanzwesen des Reiches sollte nach der Reichsverfassung auf dem Grundgedanken beruhen, daß die Bedürfnisse des Reiches aufzubringen seien 1. durch die Erträge einiger vom Reiche übernommenen Verwaltungszweige; außer einigen Arten von Gebühren kamen hier besonders in Betracht die Post- und Telegraphengefälle sowie die Erträge der „Reichseisenbahnen“. Dazu kommen 2. die Zölle und die sog. indirekten Steuern (Bier, Branntwein, Rübenzucker, Salz, Tabak, Schaumwein), ferner 3. einige sog. Stempelsteuern (Wechsel, Spielkarten, Börse), 4. weiter die vom Reich geordnete Erbschaftssteuer (seit 1906), von deren Ertrag dem Reich ¾, seit 1913 4/5 zugewiesen wurde, 5. die seit 1909 eingeführten Steuern auf Leuchtmittel und Zündwaren. Reichten die eigenen Finanzquellen nicht aus, so sollten 6. „Matrikularbeiträge“ erhoben werden, eine einfache Kopfsteuer, die die Einzelstaaten ans Reich zu zahlen hatten.

Weitere Entwicklung.

Die Entwickelung des Reichsfinanzsystemes erfolgte in vier großen Evolutionen, 1879, 1887, 1909, 1913. Die große, in erster Linie von wirtschaftlichen Notwendigkeiten beherrschte Umgestaltung des deutschen Zollsystems im Jahre 1879 ergab, nebst der Neugestaltung der Tabaksteuer, eine so bedeutende Erhöhung der eigenen Reichseinnahmen, daß ein völliger Wegfall der Matrikularbeiträge hätte in Aussicht genommen werden können, wäre nicht aus politischen Gründen (Frankensteinsche Klausel) eine höchst künstliche dauernde Festlegung der Matrikularbeiträge erfolgt, die zu einer verwirrten Verrechnung zwischen Reich und Einzelstaaten und damit zu einer allgemeinen Verwirrung des Reichshaushaltes führen mußte. Immerhin war volkswirtschaftlich und staatsrechtlich durch die Gesetzgebung von 1879 ein großer Erfolg erzielt.

Als die wachsenden Bedürfnisse des Reiches zur Erschließung neuer Finanzquellen nötigten, erfolgte diese 1887 durch eine große Reform der Branntweinsteuer (Miquel), deren Ergebnis so bedeutend war, daß – trotz der leider auch jetzt festgehaltenen verwirrten Rechnung mit Überweisungen und Matrikularbeiträgen – in Wirklichkeit für eine Reihe von Jahren die Matrikularbeiträge nicht mehr existierten, sondern nur noch als künstliche Fiktion durch Aufrechnung von sog. „Überweisungen“ und Matrikularbeiträgen fortgeschleppt wurden. Leider wurde diese Fiktion verhängnisvoll.

Der zunehmenden gewaltigen Steigerung der Bedürfnisse des Reiches konnte dieses Finanzsystem bald nicht mehr genügen. Seit Mitte der 90er Jahre gerieten die Finanzen des Reiches in eine vollständige innere und äußere Verwirrung. Die eigenen Finanzquellen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/170&oldid=- (Version vom 4.8.2020)