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und Bevölkerungszunahme bewirkte Wachstum nicht aus, dem Bedarf zu genügen. Eine einfache Erhöhung der Steuersätze, wie sie bei Einkommens-, Ertrags-, Vermögenssteuern in der Regel mit der Wirkung des Erfolges möglich ist, läßt sich bei jenen nicht so ohne weiteres vornehmen. Wirtschaftliche Rücksichten auf die Produzenten und Händler erfordern sorgfältige Erwägung; bei den Zöllen ist daneben noch durch Verträge u. a. die Erhöhung zeitweise ausgeschlossen. Steuererhöhungen sind bei den Verbrauchssteuern fast immer mit Umbildungen der Grundlagen der Besteuerung verbunden. Längere Beratungen gehen vorher; die Presse und Interessenvertretungen bemächtigen sich der Vorlagen; berechtigte und unberechtigte Ansprüche machen sich geltend. Namentlich seit die Produzenten und Händler sich zu Verbänden zusammengetan haben, ist es ihnen gelungen, einen bis in die Parlamente reichenden Einfluß zu gewinnen, der naturgemäß einen festen Rückhalt an der breiten Masse der Konsumenten findet. Man denke nur an die Agitation der Tabakinteressenten im Jahre 1909. Nicht selten war eine Regierungsvorlage schon verurteilt, noch bevor sie zur Beratung im Reichstag kam. Die alten Vorurteile gegen Monopole haben kaum etwas an Stärke verloren; man nahm lieber den Nachteil eines Privatmonopols in Kauf, als daß man seine Erträge durch den Staatsbetrieb der Allgemeinheit zugeführt hätte. So bei dem im Jahre 1909 geplanten Zwischenhandelsmonopol mit Branntwein. Wenn es trotz aller dieser Schwierigkeiten gelungen ist, den Ertrag der Getränke-, der Zucker- und der Tabaksteuer von 145 Mill. M. im Jahre 1888 auf 582 Millionen im Jahre 1913 zu steigern, so war nur die bittere Not die treibende Ursache.

Da man die bisher ausgenützten Steuern nicht noch mehr anspannen konnte oder wollte, so war man genötigt, auch noch andere Verbrauchs- und Aufwandsteuern hinzuzufügen, wie die historische Übersicht gezeigt hat. So ist es gekommen, daß die sämtlichen Verbrauchssteuern einschließlich der Zölle nach der Rechnung von 1911: 1368 Mill. M. oder rund 21 M. auf den Kopf der Bevölkerung betragen. Zum Vergleich mag bemerkt werden, daß nach den Rechnungen für 1912 bzw. 1911 die Belastung mit den gleichen Abgaben in England etwa 34, in Frankreich 41 M. auf den Kopf beträgt. Der Prozentanteil dieser Abgaben gegenüber den anderen, also den Verkehrs- und sog. direkten Steuern betrug im Reich 84, in England 46, in Frankreich 54. Bei Betrachtung dieser Zahlen, die nur einen ganz rohen Maßstab geben können, darf aber nicht vergessen werden, daß der Vergleich schief ist. In Deutschland bilden Reich und Bundesstaaten zusammen eine finanzielle Einheit, und man muß, wenn man die deutsche Steuerbelastung mit der Englands und Frankreichs vergleichen will, auch die Steuereinnahmen der Gliedstaaten mit in Rechnung setzen. Und da diese zum weitaus überwiegenden Teil aus direkten Steuern fließen, so nähert sich im Endergebnis der Anteil der einen und der andern Steuern der französischen Ziffer.

Je höher die Steuersätze der Verbrauchssteuern und die Belastung des notwendigen Konsums durch Zölle wurde, um so eifriger wurde die Frage erörtert, ob nicht Einhalt in ihrer weiteren Ausnutzung mit Rücksicht auf die minderbemittelten Klassen geboten sei. Nun läßt sich das Maß der Belastung der einzelnen Klassen durch Verbrauchssteuern und Zölle nicht einwandfrei feststellen, immerhin wird man zugeben müssen, daß es eine

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/271&oldid=- (Version vom 4.8.2020)